: berliner szenen Geh zu Hause …
… alte Scheiße
Am Nachmittag klingelte das Telefon. Eine Jungenstimme sagte hastig: „Ja, ey, ich ficke deine Mutter.“ Dann legte er schnell wieder auf. Irgendwie war man ein bisschen enttäuscht, nicht über die skurrile Beleidigung, sondern dass er so schnell aufgelegt hatte, dass man also keine Möglichkeit mehr hatte, zu antworten –„Na und“ oder „Na du bist ja einer“. Im Gegensatz etwa zu „Du Opfer“ kommt einem „Ich ficke deine Mutter“ nicht wirklich beleidigend vor und man wundert sich, dass viele türkische Jungs das noch nicht verstanden haben.
Andererseits ist „Ich ficke deine Mutter“ ja mittlerweile zu einer Berliner Standardbeschimpfung geworden. Wie etwa auch „Geh zu Hause, alte Scheiße“. Mit „Geh zu Hause, alte Scheiße“ macht S. oft Punkte an Abenden, wo man halt zusammensitzt und grad keiner etwas sagt. Sie sagt, das sei in vielen Schichten verbreitet. Sie habe diese schöne Formulierung am Kotti gehört, aber einmal habe das auch ein gut gekleideter Architekt zu seiner Sekretärin gesagt. Der Sekretärin sei das Gesicht runtergefallen und sie habe in Tränen das Weite gesucht. Besonders perfide sei dabei gewesen, dass die Beleidigte gar nicht alt war. Aber eigentlich wäre es noch fieser gewesen, wenn die Sekretärin alt gewesen wäre. Wie auch immer; das dem Hause beigestellte „zu“ hatte etwas Brillantes. Leider lachte niemand, wenn ich selber versuchte, diese Geschichte zu erzählen. Vermutlich weil mir die Berliner Sprachfärbung fehlt.
Gut ist auch der weltweit erste Taxifahrerwitz: „Ihnen wird Leid wieder fahren.“ Das stehe in der Bibel, sagte K. oft, wenn die anderen gerade schwiegen. (Aus Gründen der sozialen Distinktion hatten sie in ihrer WG Fernsehen abgeschafft, stattdessen liegt die Bibel immer auf dem Tisch.)
DETLEF KUHLBRODT