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Archiv-Artikel

Liebe in Zeiten des Zynismus

Wir können Comic, aber wir können auch anders: Nicolas Stemann hat das „Käthchen von Heilbronn“ im Deutschen Theater inszeniert. Ohne Blech, aber mit viel Feuer

Das Publikum wird umworben. Wie eine Geliebte. Die Rede, mit der sich der erste Schauspieler an alle im Saal wendet, stammt aus einem Liebesbrief von Heinrich von Kleist an Wilhelmine von Zenge: „Zwar eigentlich – ich will es Ihnen nur offenherzig gestehen, eigentlich bin ich es fest überzeugt, dass Sie mich lieben.“ Doch wie bei jedem „eigentlich“ folgt bald das „aber“. Denn ganz überzeugt ist, der da redet, noch nicht von seinen eigenen Worten. Je näher er seinem Ziel kommen will, desto mehr spürt man die Mühe, die in das Unternehmen Liebe investiert wird.

Dann kommt nach und nach das ganze Ensemble und assistiert dem Hauptdarsteller (Frank Seppeler) in seiner Werbung um Vertrauen. „Vertrauen Sie mir.“ „Vertrauen Sie ihm.“ Der Ton verändert sich, er wird geschäftsmäßig. Bis schließlich die da oben uns unten die Kunst andienen mit augenzwinkerndem Einverständnis: Diesen Schwindel, das wollen wir doch, oder nicht. So mutiert, was mit dem unmittelbaren Bekenntnis begann, das gerade durch seine Schlichtheit berührte, zur eleganten und zynischen Geste.

Liebe, Glaube und Vertrauen: Die sind in dieser superschnellen Inszenierung des „Käthchens von Heilbronn“, die Nicolas Stemann mit dem Ensemble des Deutschen Theaters entwickelt hat, stets doppelt besetzt. Sie sind der Gegenstand des Dramas, von Kleist erzählt als eine abenteuerliche Geschichte voller Ritter, Intrigen und Wunder, in der der Glaube einer Liebe quer zu allen Regeln der Gesellschaft zu ihrem Recht verhilft. Weil Käthchen glaubt, an einen Traum, in dem ein Cherubim ihr den Geliebten zeigte, hält sie daran fest, bis aus dem Wunsch Wirklichkeit wird. Liebe, Glaube und Vertrauen: Sie sind aber auch gefragt im Verhältnis zum Stoff, zur Sprache von Kleist, zum Theater als Kunstform, zur Geschichte von Wundern. Wollen wir sie denn, oder wollen wir nur noch darüber lachen? Mit dieser Form der Selbstreflexion durchdringt Stemann den Stoff. Er sucht nach den Möglichkeiten, in Zeiten des Zynismus, Hingabe wiederherzustellen – und das gelingt ihm ohne Peinlichkeit. Es gibt einen Moment, der ist so anrührend, als stünde das Tor zum Paradies wieder offen. Als wäre eine Rückkehr der Unschuld möglich. Natürlich ist dieser Moment nicht von Dauer.

Doch bis dahin ist diese Inszenierung unerwartet lustig und schnell. Vom aufwändigen historischen Ritterschauspiel, das mit viel Blech, vielen Statisten und hohen Kulissen große Gefühle herstellt, distanziert man sich lustvoll. Statt 22 Rollen wie bei Kleist verzeichnet der Besetzungszettel nur 8. Statt in 4 Stunden bringt man die Sache 100 Minuten hinter sich. Mit Rüstungen schleppt man sich nicht ab, die bleiben hinter Glas. Ein paar Massenszenen werden zwar erzählt, mit Dia-Projektion, Fernbedienung, kurzen Skizzen; der machtpolitische Teil aber wird ratzfatz entsorgt als komplizierte Geschichte, die man jetzt nicht gebrauchen kann.

Alle Liebe dieser Inszenierung gilt Käthchen (Inka Friedrich), ihrer Unbeirrbarkeit und ihrem Trotz. Inka Friedrich schafft es, fast jedes Mal wie eine auf die Bühne zu kommen, die den Verblendungszusammenhang der anderen einfach unterläuft. Die so wirklich ist, dass die Wahngebilde der anderen, sorgsam und mit Klugheit inszeniert, von ihr einfach durchstoßen werden.

Die Sache geht gut aus, das darf man die ganze Zeit ahnen. Das Ensemble nutzt dieses Wissen als positive Kraft. Man kann sich das leisten, denn am Abgrund hat man lang genug gestanden. Diese Haltung trägt, aber man weiß nicht wie lange. Wahrscheinlich müssen sie sich deshalb so beeilen mit dem Spielen. KATRIN BETTINA MÜLLER

Wieder am 3. und 11. 10., Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Mitte