Die verzogene Teddy-Prinzessin von China

Der Dirigent Kent Nagano und die Filmregisseurin Doris Dörrie präsentieren gemeinsam Puccinis „Turandot“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Die Musik lässt die Gefühle mit großer Geste aufleben, die Inszenierung aber verkleinert die Vorlage zum Vorabend-Serien-Drama in der Wohnküche

von NIKLAUS HALBLÜTZEL

Die Tochter des Himmels wohnt in einem Teddybären. Er füllt den ganzen Bühnenraum aus und macht alles andere ganz klein. Auch was er bedeuten soll, ist unschwer zu erraten. Und falls jemand doch nicht gleich dahinter kommt, hilft ihm Turandot selbst auf die Sprünge. Sie hat einen kleinen Teddy um die Hüfte geschnallt. Ein verwöhntes Mädchen, das Comics liest, sich die Kleider der schwarzen Kriegerinnen leisten kann, die ihm dort am besten gefallen haben, und auch eine Geschichte hat es sich dazu ausgedacht: Es muss das Unrecht rächen, das seine Urgroßmutter vor unendlich langer Zeit erlitt.

Gewiss lässt sich das Märchen der Turandot auch so erzählen. Solche Gören können schon ziemlich furchtbar sein. Ganz China leidet unter dieser Teddyprinzessin, so singen es die Hofschranzen Ping, Pang und Pong beim Sonntagsausflug mit Motorrollern und ihren Bräuten, die gar nichts gegen Sex im Grünen einzuwenden haben. Man kann es so erzählen, und Bernd Lepels Kulissen und Kostüme lassen lange Zeit glauben, es könne anders gar nicht sein. Der Chor ist eine Monsterarmee, die Höflinge sind Offiziere aus einem Science-Fiction-Spiel. Ein Riesenhandy, fliegende Supermänner am Seil und Hochhaussilhouetten lassen ein China entstehen, das mythisch und modern zugleich ist.

Nur Calaf der Prinz gehört nicht ganz dazu. Weil er ein Mensch ist, der die Rätsel löst, die feministisch tief gefrorene Prinzessin auftaut und das ganze Reich befreit, darf er einen Trainingsanzug tragen, meint Doris Dörrie, die Regisseurin.

So ist das nun mal bei ihr. Die Opern, die sie inszeniert, müssen es sich gefallen lassen, auf ihr Format verkleinert zu werden. Sie hat Erfolg mit Filmen, Theaterstücken und Erzählungen, die vom allzu menschlichen Alltag aus der Sicht einer Frauenzeitschrift für gehobene Ansprüche handeln.

Nichts kann so schrecklich sein, dass es auf den nächsten Seiten nicht ein Rezept und ein paar Einkaufstipps gäbe. So geriet Mozarts fatale Lustverwirrung von „Cosi fan tutte“ am selben Ort schon zur Homestory grüner Angestelltenwitwen mit Aussteigerlaunen. Puccinis Turandot nun endet wie eine Vorabendserie in der Wohnküche.

Der Mann holt erst mal sein Bier aus dem Kühlschrank, bevor er dieser Prinzessin Bescheid sagt. Soll sich nicht so anstellen. Das sieht sie ein, der Morgen graut, und Pekings Radfahrer sind auf dem Weg zur Arbeit.

In der Premiere hat dieses Finale einige vereinzelte Lacher geerntet, sehr viel lauter jedoch waren am Ende die Buh-Rufe. Sie galten allein der Regie, nicht dem Bühnenbild und schon gar nicht dem Ensemble. Der Pop des Comics ist nur die Verpackung. Der Kern sitzt hier, im Vorstadthäuschen mit Garage. Der Kaiser von China hat da immer schon gewohnt, er trägt ein Mielke-Hütchen. Da nun soll Darío Volonté seinen letzten Sieg besingen, den er erringen will: die Liebe der Turandot. Sylvie Valayre tritt hinzu, widerstrebend zunächst, doch dann beginnt das Duett eines unfassbaren, ungläubig hingenommenen Glücks zu strömen, aufgehoben in reinem Gesang, in reiner Musik, die hier nicht mehr abbrechen muss, weil Luciano Berio kurz vor seinem Tod die von Puccini hinterlassenen Skizzen des Finales kongenial vollendet hat.

Nichts mehr bleibt dann übrig von Küchentisch und Bierflasche. Dörries Einfälle sind viel zu klein für all das, was Kent Nagano am Pult der Staatskapelle dieser Oper zurückgibt. Nur selten lässt er das Orchester zum symphonischen Eigenleben aufspielen, viel lieber lässt er es mit schier unendlicher Einfühlsamkeit den Gesang begleiten.

Beinahe nebenbei enthüllt Nagano damit das wirkliche Rätsel dieser Oper: Eine vollkommen originelle, wenn auch oft nur illustrative, aber mit höchster Eleganz und Ökonomie der Mittel instrumentierte Musik gibt einfachen, menschlichen Leidenschaften jene Form, in der sie endlich zu der großen Geste aufleben können, die in ihnen steckt. Das ist ihre Wahrheit, die auch am Küchentisch verstanden werden kann. Auch wenn sie dort nicht zu Hause ist.