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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Pseudo-Wendeltreppen und Pseudo-Busen

Die heile Welt der Versandhäuser lockt mit vielen aufregenden Angeboten. Am besten: gleich in den Katalog einziehen

Versandhauskataloge sind das Größte. Leider bin ich zu arm, sonst würde ich mir jeden Tag etwas bestellen. Am Montag aus „Die moderne Hausfrau“ zum Beispiel eine Dose „Grabstein Neu“-Spray, mit der man sich das Grabsteinabfeudeln sparen kann, oder eine Tube „Fugenweißer“ gegen die schimmeligen Badkachelfugen. Oder den praktischen Buchtresor aus Plastik, der als Roman mit dem Titel „Harrys Spuren im Sand“ getarnt ist und den man am besten zwischen „Middlesex“ und „Die Kinder von Torremolinos“ stellt, denn er hat fast die gleiche Größe und Form, und unter Romanen sucht der Dieb bestimmt nicht nach Geld, eher bei Krimis, sollte man meinen.

Am Dienstag würde ich mich im Bauhaus-Katalog über Fertig-Wendeltreppen informieren, die gibt es dort in verschiedenen Höhen, und man klemmt sie einfach in sein Zimmer und kann so mit den Nachbarn aus dem Hinterhaus ein lustiges Verwirrspiel treiben, die ganz neidisch werden, weil sie die gleiche Wohnung zum selben Preis gemietet haben, nur nicht als Maisonette. Mittwoch und Donnerstag bestelle ich ein paar blöde neue Kissen mit Händen dran aus dem Schwedenladen, die ich frechen Kindern aus meinem Bekanntenkreis weiterschenke, damit sie mich nie wieder besuchen. Und am Wochenende ist endlich Zeit für Versandhausklamotten!

Natürlich kreuze ich nur Konfektionsgröße 34/36 an, denn nach wie vor sind kleinere Größen in solchen Katalogen billiger als große, und ich muss ja sparen. Die Modelle heißen „Dallas“, „Denver“ oder „Texas“, und die Hosen haben „Slimline“-Schnitte, sind „ausgestellt“ oder „Must haves“. Tja, die charmant modern clevere Versandhauslyrik ist eine Sprache für sich.

Dann schnell zu den „raffinierten Dessous“, bei denen vor allem eines auffällt: Neuerdings haben auch die Models der Versandhauskataloge falsche Brüste und tragen ihre mit Silikon oder Schlimmerem gefüllten Oberkörper stolz in „Gel-Push-ups“ vor sich her. Diesen Modebusen bestelle ich vorsichtshalber gleich mit, denn die von selbst stehenden, mit einer zarten Narbe am Unterbusen verzierten Plastik-Haut-Kugeln scheinen sich derart durchgesetzt zu haben, dass die Liebhaber persönlich-origineller Busenformen in wenigen Jahren wahrscheinlich nur noch in ausgesuchten Internetforen zusammentreffen können.

Hoffentlich nimmt wenigstens in Deutschland nicht die amerikanische Unsitte überhand, statt Silikon Sojaöl in den Normbusen zu pumpen, angeblich weil sich das Silikon nach einiger Zeit so unschön „verkapselt“ und von einem beherzten Arzt mit den Händen „aufgebrochen“ werden muss, ein Prozess, an den ich nicht denken kann, ohne dass mir vor Kummer die Haarwurzeln wehtun. Denn das Sojaöl, das habe ich aus einer Arzt-Wartezimmer-Frauenzeitung, überschreitet irgendwann sein Verfallsdatum, und dann stinkt die Dame aus der Brust. Dann doch lieber das bisschen Aufbrechen gegen die Beulen, nicht wahr? Wer schön sein will und so weiter.

Die Frage ist ohnehin, inwiefern der kosmetisch optimierte Frauenkörper das innere Menschenabbild verändert. Können Kinder, die an properen, volleyballförmigen Silikonmöpsen anstatt an weichen, edlen Pompadour-Champagnerschalen genährt wurden, als Erwachsene überhaupt die Klasse eines echten, unverbauten Busens erkennen? Kriegen Menschen Psychoschocks, wenn sie bei einem gemeinsamen wochenlangen Entführungserlebnis bemerken, dass auch Frauen unter den Armen Haare wachsen?

Zurück zum Versandhauskatalog, der zu all diesen Fragen schweigt und dessen schöne, glatte, brustgestopfte, ebenmäßig retuschierte Damen so tun, als ginge sie das alles nichts an, als trügen sie mit ihren Scheinkörpern nicht dazu bei, dass Messer wetzende Chirurgen bald die einzigen Menschen sind, die sich noch ein Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr leisten können, ach was sag ich, die haben eh alle Autos. Wie gerne würde ich in eines dieser Heile-Welt-Märchenbücher für Erwachsene einziehen, in eines dieser schlau und praktisch eingerichteten Zimmer, in denen man nicht arbeiten muss, weil der Computer nur eine Attrappe ist und in denen überall Obstschalen stehen. Man könnte mit den schlanken Damen von den Unterwäscheseiten Anti-Verkapsel-Tipps austauschen, wenn man feiern möchte, rutscht man auf die „Festliche Anlässe“-Seiten rüber, öffnet eine Deko-Sektflasche und stößt mit einem der Herrenanzugmodels an. Die machen immer einen so intelligenten Eindruck!

Fragen zu Sojaöl? kolumne@taz.de