: Die Aufrüstung der Gereiften
Die Polizei ist keine Haudrauftruppe mehr. Deshalb könne sie auch mit dem Schlagstock Tonfa umgehen, sagen Befürworter. Kritiker bezweifeln, dass die Veränderung tief genug verankert ist
VON PLUTONIA PLARRE
Gesucht wurde ein Logo, mit dem sich alle 100 Polizisten der 22. Einsatzhundertschaft (Ehu) identifizieren konnten.Warum nicht den Slogan der amerikanischen Cops nehmen, der früher die Streifenwagen in New York zierte? „To serve and protect?“ Der Spruch wurde für gut befunden, nur das Englische störte. Dann schon lieber Latein: „servare et protegere“ – dienen und schützen. „Das ist ein Spruch, zu dem man stehen kann“, sagt der stellvertretende Hundertschaftsführer Thomas Neumann, der den Ausspruch nun wie der Rest der Truppe in kleiner weißer Schrift vorn auf seinem schwarzen T-Shirt zu stehen hat.
Servare et protegere – ein bemerkenswerter Slogan für die Berliner Bereitschaftspolizei, die lange den Ruf der Prügelgarden und des Trupps fürs Grobe genossen hat. Von diesem Image, wird von der Polizeiführung allenthalben betont, hätten sich Einheiten aber längst gelöst, indem sie sich zu modernen „Allroundbeamten“ entwickelten. Weil sie nun „reifer und gelassener geworden“ sind, wie ihre Vorgesetzten meinen, sollen die rund 2.000 Beamten der geschlossenen Einheiten nun eine neue Waffe bekommen: den asiatischen Kung-Fu-Knüppel Tonfa, polizeiintern beschönigend „Rettungsmehrzweckstock“ genannt. Externe Kritiker dagegen sprechen von einem potenziellen Totschlaginstrument.
Im parlamentarischen Innenausschuss wird Innensenator Ehrhart Körting (SPD) heute verkünden, dass als Erstes die 400 Angehörigen der Festnahmeeinheiten der beiden Abteilungen der Bereitschaftspolizei einen Tonfa bekommen werden. Die Bedenken der SPD- und PDS-Fraktion sind vom Tisch, zumal die Anschaffung kostenneutral ist. Für die rund 20.000 Euro kommt der Bund auf. Mit der Freigabe des Tonfa schließt sich Körting Polizeipräsident Dieter Glietsch an, der unter Berufung auf die positiven Erfahrung der übrigen Bundesländer von einem sinnvollen Einsatzmittel für Festnahmen und zur Eigensicherung spricht.
In den Wind geschlagen sind damit alle Bedenken des früheren Chefs der Schutzpolizei, Gernot Piestert. Der warnt dringend davor, ausgerechnet die geschlossenen Einheiten mit dem bei unsachgemäßer Handhabung so gefährlichen Tonfa aufzurüsten. Die viel gepriesene Läuterung, Liberalität und Gewaltfreiheit der Hundertschaften müsse sich auf längere Sicht unter Beweis stellen. Piestert hat so seine Zweifel, ob das „zarte Pflänzchen“ liberales Einschreiten mit Augenmaß bei den Hundertschaften schon tief verankert ist. Das sei ein Prozess von vielen Jahren. „Eine äußere Aufrüstung“, so das Credo, das der Schupo-Chef bis zu seiner Pensionierung im Frühjahr 2003 mit Erfolg verfochten hat, „führt auch zu einer inneren Aufrüstung.“
Der stellvertretende Führer der 22. Ehu, Neumann, ist ein athletischer Hüne mit lebhaften Augen, stoppelkurzen Haaren und gebräuntem Teint. Der 40-Jährige kennt die geschlossenen Einheiten noch aus alten Zeiten – als es bei Demonstrationseinsätzen „um eine Lagebereinigung“ unter Inkaufnahme von Kollateralschäden ging. Der Sohn eines Bäckers und Abiturient eines Zehlendorfer Gymnasiums hatte sich als 18-Jähriger für die Polizei entschieden, weil ihn die negative Haltung seiner Mitschüler und Lehrer der Polizei gegenüber gestört hat. Als er 1983 bei den Einheiten anfing, erzählt Neumann, „hat ein halbes Jahr lang keiner mit mir gesprochen. Ich musste die Drecksarbeiten machen.“ Seiner sportlichen Vielseitigkeit habe er es zu verdanken, dass er akzeptiert wurde.
Während der Hausbesetzerzeit Anfang der 80er-Jahre, bei den Einsätzen gegen die Gegner der geplanten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf und auch in den 90er-Jahren regierte der Schlagstock. Das einheitliche Aussehen der Uniformierten und der Korpsgeist machten eine Identifizierung der Schläger so gut wie unmöglich. Und wenn ein Beamter mal den Mut hatte gegen die eigenen Kollegen auszusagen, wurde er als Nestbeschmutzer diffamiert, bis er die Dienststelle verließ oder sogar den Polizeidienst quittierte.
Auch im Bundesgebiet kam es nach den Castor-Einsätzen in Gorleben (1997) und Ahaus (1998) zu heftigen Protesten wegen des harten Vorgehens der Berliner gegen Sitzblockaden. Die Gescholtenen verteidigten sich damit, bei Auswärtseinsätzen würden sie immer gezielt an der Spitze eingesetzt, weil sich die jeweiligen Landespolizeien nicht die Finger schmutzig machen wollten.
Fakt ist: Die Polizei hat sich verändert. Von der alternativen, liberalen Öffentlichkeit wird das durchaus honoriert. Am 1. Mai solidarisierten sich Kreuzberger ganz offen mit der Polizei gegen all diejenigen, die Randale suchten. Früher waren mit den „Haut ab“-Rufen immer „die Bullen“ gemeint. Die setzen nun auf deeskalierendes Auftreten und gezieltes Rausgreifen von Randalierern. Die Kollateralschäden haben deutlich abgenommen. Ob das nun durch den Regierungswechsel von der großen Koalition über Rot-Grün zu Rot-Rot angeschoben wurde oder aus eigenem Antrieb passierte, ist egal: Bei den geschlossenen Einheiten hat die Erkenntnis Einzug gehalten, dass auch die Sprache ein gutes Einsatzmittel ist.
„Einen Ehrenkodex im alten Sinne haben wir nicht“, versichert Neumann. „Alles, was wir tun, schreiben wir auf. Alles muss rechtlich überprüfbar sein.“ Dass unter 1.600 Bereitschaftspolizisten keine schwarzen Schafe seien, könne natürlich keiner versprechen. „Aber dass Aussagen gedeckelt werden, ist heutzutage nicht mehr möglich.“ Das liege aber nicht nur an der veränderten Moral. Auch der technische Fortschritt habe die Selbstreinigungskräfte enorm beflügelt, sagt Neumann. Im Klartext: Digitalkameras und knipsende Handys, die auf jeder Demo massenhaft zu finden sind, helfen zu vermeiden, dass Beamte aus Angst vor Entdeckung über die Stränge schlagen.
Mehr als die Hälfte ihrer Dienstzeit verbringen die Hundertschaften mit normalen Tätigkeiten: Razzien, Verkehrskontrollen und auch Streifenfahrten mit dem Mannschaftswagen, besser bekannt als „Wanne“. Auch dabei kann es zu ganz schönen Problemen kommen: 12 Beamte gegen 200 Angreifer, zumeist arabischer und türkischer Herkunft. Das war Anfang August im Sommerbad Wilmersdorf die Lage, in der eine Gruppe der 22. Ehu in ziviler Badekleidung zur Diebstahlsaufklärung eingesetzt war.
„Das war gänsehautmäßig“, erzählt eine 22-jährige Beamtin. Anders als Steinwürfe am 1. Mai kam diese Situation „schlagartig und unerwartet“. Wie auf Knopfdruck sahen sich die Beamten von einer wachsenden Menschenmenge umringt, als sie einen Jugendlichen des Bades verweisen wollten. Um die eigene Haut zu retten, mussten einige von ihnen in eine Umkleidekabine flüchten.
Die Gewaltbereitschaft gegen Polizisten sei in Berlin höher als im Bundesgebiet, sagt Polizeichef Glietsch. Erfahrungen wie die im Schwimmbad werden von den Angehörigen der 22. Ehu als Grund angeführt, warum sie unbedingt den Tonfa brauchen. Eine Gewaltverschiebung weg von den Linksautonomen hin zu „arabisch-türkischen Mitbürgern“ habe stattgefunden, sagt der 22-jährige Beamte Karsten B. Es gebe Gebiete, in denen sei das Bedrohungspotenzial höher, der Solidarisierungseffekt größer, Respekt vor Polizisten ein Fremdwort: Neukölln, Kreuzberg und Wedding im Westteil. Im Ostteil Hellersdorf und Marzahn aufgrund der „Faschos“.
Beleidigt, bespuckt, geschlagen, bedroht. „Wenn ich das Pfefferspray raushole, lacht mich der Angreifer aus“, sagt Karsten B. Pistole ziehen bringe auch nichts. „Die wissen genau, dass ich nicht schieße.“ Der Tonfa als Zauberwaffe? „Das alleinige Zeigen des Stocks ist gewaltmindernd, weil man damit beim Gegenüber Respekt erzeugt“, ist man sich bei der 22. Ehu sicher. Eine Drohgebärde als Ultima Ratio? Und was, wenn der Knüppel „ausrutscht“? Er habe „Furcht,“ sagte Piestert, „dass irgendwann einem Menschen von einem Polizisten der Schädel eingeschlagen wird“.
Nachts im Mannschaftswagen. Die Beamten der 22. Ehu passieren zum wiederholten Mal das Rollbergviertel, das für rohe Gewalttaten bekannt ist. „Absolut tot heute“, sagt eine Beamtin. Ein Einsatz wegen eines Beziehungsstreits, einen Betrunkenen aus der Kneipe befördern. Viel mehr gibt es in dieser Nacht nicht zu tun. Ein Einsatz ganz im Sinne des Bürgers. Servare et protegere. Ganz ohne Waffen.