: Keine wissenschaftlichen Belege
betr.: „Der zweite Fall in drei Monaten?“, taz bremen vom 16.09.2003
Als taz-Leser und in diesem Zusammenhang mehrfach Betroffener bin ich über den Artikel mittelgradig entsetzt. Bei der getöteten Frau handelt es sich um eine sehr liebe Kollegin von uns, eine im vorigen Jahre berentete, sehr erfahrene Psychiatrie-Stationsschwester. Viele Patienten, um die sie sich mit großem Einsatz gekümmert hat, sind bestürzt und tief traurig. Ganz offensichtlich hat auch sie, die ihren Sohn am besten kannte, die Bedrohlichkeit der Situation nicht einschätzen können. Die Patientin war übrigens von Oktober bis Mai durchgehend in klinischer und tagesklinischer Behandlung und ist danach sehr sorgfältig nachbehandelt worden. Auch nach dem Kriseneinsatz des Sozialpsychiatrischen Dienstes Ende August wurde in einer Fallkonferenz Anfang September neben der Entspannung der Familiensituation der Verlauf als günstig angesehen.
Nicht nur in der Psychiatrie, auch sonst im Leben gibt es Unvorhergesehenes und manchmal Unerklärliches. Für eine „Häufung von Gewalttaten psychisch Kranker“ gibt es übrigens bisher keine wissenschaftlichen Belege. Das Aufeinandertreffen von mehreren Einzelfällen lässt diesen Rückschluss natürlich nicht zu. Es spricht aber viel für eine steigende Gewaltbereitschaft Gesunder und eine unverhältnismäßige Reaktion der Medien auf Straftaten psychisch kranker Menschen. Wer steht dafür in Erklärungszwang? PROF. DR. PETER KRUCKENBERG, Chefarzt, Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie, Bremen