: Neue Arbeit: Kreativ statt Lohntarif
In einer ehemaligen Wuppertaler Schnürsenkelfabrik soll der Prototyp von neuer Arbeit im postmodernen Industriezeitalter entstehen: Teilnehmer des Projekts sind verpflichtet, gemeinnützig zu arbeiten und dürfen dafür bei der Miete sparen
VON ELMAR KOK
In Wuppertal soll in einer Fabrik aus dem 19. Jahrhundert die Arbeit der Zukunft entstehen. In der ehemaligen und mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Textilfabrik Huppertsberg, die früher mit rund 700 Beschäftigten Schnürsenkel herstellte, ist das „Zentrum für neue Arbeit“ entstanden, das sich auf das „new work“-Modell des amerikanischen Sozialphilosophen und Anthropologen Frithjof Bergmann beruft.
Träger des Wuppertaler Zentrums ist der Verein Startpunkt e.V, der sich zum Ziel gesetzt hat, Konzepte für neues und kreatives Lernen und Arbeiten zu entwickeln und umzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sich alle Mieter, die innerhalb des Gebäudes der ehemaligen Fabrik Räume mieten, verpflichten, gemeinnützige Arbeit im Sinne des Vereins zu leisten. Die Idee, dass gemeinnützige Arbeit Teil des zukünftigen Erwerbsleben sein sollte, kommt von Bergmann. Der geborene Sachse ist Professor an der Universität von Michigan. Er gründete 1984 zusammen mit General Motors das erste „Zentrum für Neue Arbeit“ in der Automobilstadt Flint. Bergmann gewann bei Reisen durch die Ostblockländer in den Jahren 1976 bis 1979 die Erkenntnis, dass der Kommunismus ohne Zukunft sei und begann, ein Gegenmodell zum Kapitalismus zu entwickeln. Er ist der Meinung, dass sich die „Neue Arbeit“ in drei Bereiche gliedern müsse: Ein Drittel ihrer Zeit sollten die Menschen mit normal entlohnter Arbeit verbringen und ein Drittel damit, in „High-Tech-Gemeinschaftsproduktionen“ die Güter herzustellen, die für das tägliche Leben notwendig sind. Das verbleibende Drittel der Arbeitszeit solle vom Individuum dazu genutzt werden, das zu tun, was glücklich macht, schreibt Bergmann.
Der Vorstandsvorsitzende des Vereins Startpunkt, Fridhelm Büchele, sagt: „Ich kenne Bergmann jetzt seit zehn Jahren“ und er sei von seinen Ideen fasziniert. Zurzeit werde hauptsächlich mit Schulen zusammengearbeitet, an denen „Schülern vermittelt wird, dass sich die Arbeit in ihren Berufsjahren stetig verändern wird“. Eigenständigkeit und Innovation würden für die Arbeitnehmer von morgen immer wichtiger, sagt Büchele. Wer sich in die Räume einmietet, muss dem Vorstand des Vereins einen Vorschlag für gemeinnützige Arbeit machen, der dann besprochen und an den Bedürfnissen der Schüler ausgerichtet wird. „Das ist am Anfang nicht immer einfach gewesen, wir haben gedacht, wir lassen die Schüler kommen und schon bricht das kreative Chaos aus.“ Die meisten von ihnen seien noch alten Konventionen verhaftet, die Mieter müssten sich in ihrer gemeinnützigen Arbeit daher als erstes um die Freisetzung der Kreativität kümmern.
Das Wuppertaler Zentrum für Neue Arbeit bietet dazu ein Praktikumslabor, in dem ständig 15 Praktikanten beschäftigt sind, die durch die gemeinnützige Arbeit der Mieter betreut werden. Mieter in der ehemaligen Schnürsenkelfabrik sind durchgehend Kultur- und Medienschaffende, also Menschen, die Kreativität schon mitbringen. Bei den Bewohnern des Stadtteils haben die Verfechter der neuen Arbeit es schwerer mit der Vermittlung ihrer Ideen. „Viele Eltern der Schüler, die ins Zentrum kommen, haben erstmal keine Lust, sich mit dem Treiben ihres Nachwuchses auseinander zu setzen“, sagt Büchele.
Damit sich die Idee von der neuen Arbeit durchsetzt, müssten aber doch gerade lohnabhängige Beschäftigte für das Modell gewonnen werden? „Ich bin nicht so ein Utopist, dass ich sage, wir werden die Welt revolutionieren“, entgegnet Büchele. Und: „Wenn viele feststellen, dass das lecker ist, wie der Bergmann sagt, spricht unser Konzept auch andere an.“ Es gibt aber auch Vereinsmitglieder, die von der Umsetzung von Bergmanns Ideen nicht mehr so viel halten wie Büchele. „Wir mussten auf Zeitbasis Stunden ableisten, Projekte beraten und moderieren“, sagt ein Unterstützer, der nicht genannt werden will. „Das wird dann irgendwann zu viel“, denn wenn dies auf den Lohn umgerechnet werde, „mussten wir feststellen, dass wir uns das nicht leisten konnten.“
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