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Archiv-Artikel

Das große Hoffen auf den Klebeeffekt

Mancher Arbeitslosenhilfeempfänger flüchtet jetzt vor Hartz IV in die Zeitarbeit. Statistiker melden gute Chancen, an einer Einsatzstelle fest angestellt zu werden. Ein Bremer Zeitarbeiter erklärt, wie gut die Strategie aufgeht

von Tilman Weber

Peinlich ist ihm gar nix, sagt er. Aber keine Namen bitte, und auch die Arbeitskollegen müssen nicht unbedingt wissen, dass er sich mit Journalisten trifft. Der Klebeeffekt, verstehen Sie? Das Gespräch mit dem 43-jährigen Steuerfachmann und Diplom-Pädagogen findet deshalb im Schatten einiger Büsche statt – vor der Firma im Bremer Süden, bei der er als Zeitarbeiter angestellt ist. Er hofft darauf, dort haften zu bleiben, will sich wegen privater Treffen in der Mittagspause nichts verscherzen. Aber peinlich? Nein, dazu macht er das schon zu lange.

Derzeit scheint sich der Ruch vom Billigsöldner aus dem zweiten Arbeitsmarkt zu verflüchtigen. Seit am 19. Juli im Arbeitsamtsbezirk Bremen die ersten der 19.000 Arbeitslosenhilfebezieher die 16-seitigen Hartz-IV-Fragebögen erhielten, sehen sich Zeitarbeitsfirmen von einer Nachfragewelle überrollt. Von Arbeitslosengeld II Betroffene flüchten regelrecht in Leiharbeit – vor den neuen Zumutbarkeitsregeln der Arbeitsvermittlung. Beim kleinen Leiharbeitbüro TEAM zählt die Chefin mit „Grausen“ 60 statt wie vor einem Jahr drei Bewerbungen pro Hilfsarbeiterjob. Bei Manpower drängeln sich wöchentlich „weit über 100 Arbeitssuchende“, 30 Prozent mehr als sonst. Die Agentur Bindan meldet einen Zeitarbeits-Willigen-Stau.

Auch der Mann, der jetzt hinter der Hecke auspackt, arbeitet für Bindan, schon seit April 2000. Ausleihstationen waren Hapag-Lloyd, T+T, Daimler-Chrysler, Universität. Mal war er in der Personalführung, mal bloßer Buchhalter. „Keine Wartezeiten, keine Lücken im Lebenslauf“, repetiert er, der sein Studium mit Nebenfach Personalwesen bei der Bundeswehr absolvierte. Jetzt assistiert er im Budgetcontrolling. Brutto erhalte er 65 bis 70 Prozent dessen, was Festangestellten zusteht. „Mir reicht‘s zum Leben“. Freilich nur Dank individuellen Vertrages mit Bindan. Die im Januar gesetzlich eingeführten Zeitarbeitsstundentarife von 6,85 bis 15,50 Euro ergäben weniger.

Dass seine Strategie funktionieren kann, ist Credo von Reformern wie Vermittlern. Laut Bundesverband Zeitarbeit sowie der Bundesagentur für Arbeit findet jeder Dritte bei der Leiharbeit einen festen Job. Die Bremer Arbeitnehmerkammer, traditionell kritisch gegenüber dem Dienst ohne betriebliche Sicherheit, schätzt, dass 30 Prozent der Zeitarbeiter dauerhafte Arbeitsplätze fänden, doch die Hälfte in unabhängig von der Leihfirma ausgesuchten Betrieben.

Mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit hat der Run auf die Agenturen nichts zu tun. Im Arbeitsamtsbezirk Bremen waren Ende August 42.307 Menschen erwerbslos gemeldet, mehr als im Jahresvergleich und nur saisonbedingt weniger als Juli (43.190). Zugleich schwanden die offenen Stellen von 3.000 im Juli auf 2.900. „Wir können nur verleihen, wo‘s Arbeit gibt“, sagt Bindan-Chef Bernd Habel. Er hat nun 4.100 LeiharbeiterInnen unter Vertrag, nur 100 mehr als August 2003.

Der Mann hinter der Hecke hatte bereits Chancen. Bei T+T lehnte er den Leiterjob fürs Finanzbuchwesen wegen zu hoher Ansprüche des Arbeitgebers ab. Daimler-Chrysler gab ihm 2002 nach einem Jahr Rechnungsprüfung einen Neun-Monats-Vertrag. Doch dann setzte der Konzern für die Produktion der neuen C-Klasse auf Kosten-Reduktion. Die Belegschaft wurde auf Stammgröße reduziert. Der Vertrag blieb ohne Anschluss.

Während der Rückkehr zur Pforte glotzen Augenpaare aus jedem Bürofenster. Es herrscht Nervosität. „Seit Monaten werden es weniger Kollegen“, berichtet der Bindan-Mann. Auf seine Anfrage nach Anstellung hat die Chefetage noch nicht reagiert. Spätestens Dezember will er gehen, falls sie ihn nicht übernimmt. Er würde ein Loch reißen, argumentiert er. Festanstellung sei billiger, die Zeitarbeitsfirma verdiene ja auch mit. Doch: „Die haben hier Angst, sich an Personal zu binden. Flexibilität ist alles.“ Das finden auch die Hartz-Befürworter.