: Etappensieg der Skrupellosigkeit
Der Republikaner-Parteitag hat US-Präsident George W. Bush einen kräftigen Schub in den Umfragen beschert. Jetzt diskutieren die Demokraten, welche Strategie im Wahlkampfendspurt für Herausforderer John Kerry am besten passt
AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK
In 54 Tagen werden wir wissen, ob der Parteitag der Republikaner der Anfang vom Ende John F. Kerrys war, nur ein Zwischenhoch für George W. Bush, oder ob sich bald niemand mehr an die Mischung aus „9/11“-Pathos und Kerry-Dresche erinnert, da Ereignisse, die nicht von den Wahlstrategen beeinflusst werden können, die Karten für beide noch einmal neu gemischt haben.
Im Endspurt um den Einzug ins das Weiße Haus hat Bush nunmehr die Nase vorn. 52 zu 41 Prozent führt Bush laut Umfragen der Zeitschriften Newsweek und Time. Der Parteikonvent in New York hat ihm Rückenwind verliehen, obwohl oder vielleicht gerade weil er es dank seiner Choreografen und Redenschreiber meisterhaft verstand, alle brennenden Themen perfekt zu umschiffen, sich als unbeirrbaren Feldherrn zu porträtieren und den Urnengang nicht als Abstimmung über seine Amtszeit, sondern Kerrys – natürlich unzureichenden – Führungsqualitäten darzustellen.
Dabei legten die Republikaner eine atemberaubende Skrupellosigkeit an den Tag. Im Wissen, dass ein unpopulärer Krieg und über eine Million verlorene Jobs einen Präsidenten gewöhnlich zu Fall bringen, hämmerten sie der fernsehschauenden Nation stattdessen ein, dass ein drei Tage nach den Terroranschlägen vorgenommener Besuch auf den Trümmern des World Trade Center ein Ausweis von Führungsstärke und die Invasion im Irak die logische Fortsetzung des Antiterrorkampfes seien. „Ich glaube, die Regierung testet die Theorie, dass man alle Wähler zumindest für eine Weile für dumm verkaufen kann“, schimpfte Richard C. Holbrooke, UNO-Botschafter unter Bill Clinton und zurzeit Kerry-Berater.
Doch während die Demokraten immer noch glauben, den Wahlkampf überwiegend mit Anstand und Überzeugungsarbeit gewinnen zu können, überboten sich die Redner der Republikaner munter im Verdrehen von Fakten und in Geschichtsverfälschung. Zwar deckte die Presse viele Manipulationen auf, doch wer liest schon in Oklahoma die New York Times. Überdies schien die in New York anwesende Parteibasis insgesamt von einem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit beseelt. „Wie einst die Kreuzzügler, begehen sie auf dem Weg nach Jerusalem Verbrechen über Verbrechen. Alles was zählt ist das Ziel. Und Sie denken, Gott ist auf ihrer Seite“, machte Kolumnist Richard Cohen in der Washington Post seinem Ärger Luft.
Die Rechnung der Konservativen geht jedoch vorerst auf. Kerry hat nach jüngsten Umfragen an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Demokraten sind nervös und in der Defensive. Angst macht sich breit, Kerry könnte wie einst Michael Dukakis enden. Der ehemalige Gouverneur aus Massachusetts trat 1988 gegen Bush senior an. Die Republikaner zogen mit einer Schmutzkampagne gegen ihn zu Feld, doch Dukakis glaubte, der Dreck werde letztlich am Werfer kleben bleiben. Er vermied daher die offensive Gegenwehr, wurde das Weichei-Image nicht mehr los und verlor. Diese Lektion zumindest hat Kerry gelernt. Der als Stehaufmann bekannte Senator mag zwar ein nachdenklicher und vorsichtiger Politiker sein, wird sich aber nicht kampflos geschlagen geben. Kaum war der Konfetti-Regen am Ende des Parteitags in New York verebbt, ging er zum Gegenangriff über und schärfte seine Rhetorik. Am Dienstag warf er Bush in der Irakfrage vor, „einen falschen Krieg, am falschen Ort, zum falschen Zeitpunkt“ geführt zu haben.
Zweifeln an Kerrys Kämpferqualitäten nur wenige, sind sich seine Berater jedoch uneins über die Strategie bis zum November. In der Wählergunst liegen dieses Jahr erstmals seit Jahrzehnten Innen- und Außenpolitik gleichauf. Die einen empfehlen daher, er soll sich auf die Jobsituation und Gesundheitsreform stürzen, da er Bush im Antiterrorkampf das Wasser ohnehin nicht reichen kann. Andere wiederum drängen ihn zu einer klaren Haltung im Irakkrieg.
Für den Wähler ist Kerrys Botschaft daher oft konfus. Die Republikaner hingegen haben in New York das Monothema „Nationale Sicherheit“ besetzt, bedienten dabei geschickt Instinkte und Ängste der Bevölkerung. Die Frage ist, wann die Wirkungen ihrer Nebelmaschine verpuffen.
Im Sommer 2000 hängte Bush nach seinem Parteitag Al Gore über zehn Punkte ab, doch bald lieferten sich beide erneut ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Wahltag – eine Situation, die Experten auch dieses Jahr erwarten.