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Archiv-Artikel

„Sie schaden den Interessen Bremens“

Henning Scherf liest dem Parlament gelangweilt eine Regierungserklärung voller Allgemeinplätze zur Förderalismusreform vor. CDU und SPD fühlen sich gut informiert. Grüne sind „total enttäuscht“ und schlagen Verfassungsänderung vor

Bremen taz ■ Die Parlamentarier sahen sich nicht ausreichend informiert, nicht einbezogen durch den Senat. Seit Monaten laufen die Verhandlungen über eine Neuaufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Wer ist künftig für Bildung, Hochschulen, Umweltschutz, Wohlfahrtsfürsorge, Wirtschaftsföderung, Forschung und Beamtenbesoldung zuständig, lauten hier die Fragen. Chefvermittler dabei: der Bremer Bürgermeister Henning Scherf. Die Bremer Bürgerschaftsabgeordneten bekamen von den Verhandlungen bisher so gut wie nichts mit – obwohl die Stärkung der Landesparlamente erklärtes Ziel der Förderalismus-Reform ist. Gestern schließlich gab Scherf eine Regierungserklärung ab. „Wir hätten uns gewünscht, dass wir um diese Erklärung nicht hätten bitten müssen“, meinte CDU-Fraktionschef Jörg Kastendiek.

Zwanzig Minuten lang las Scherf seinen Text ab – ohne aufzublicken. Er warnte die Abgeordneten: „Das tut mir leid für Sie.“ Grünen-Fraktionschefin Karoline Linnert reagierte empört auf den Vortrag. „Das Parlament kann nach dieser Regierungserklärung nicht beurteilen, wie Bremen agiert, welche Bündnispartner wir suchen – das war aber gerade der Sinn der Aussprache“, warf sie Scherf vor. Scharf kritisierte sie das Ansinnen Scherfs, den Bereich Bildung und Hochschule künftig komplett den Ländern zuzuschlagen. Die Kleinstaaterei im Bildungswesen, so Linnert, sei schließlich gerade die Ursache für die Misere dort, Leidtragender seien die Kinder. „Das ist völliger Wahnsinn.“ Es sei „sehr naiv“, zu glauben, dass Bremen bei den finanziellen Kompensationen, auf die man sich mit dem Bund in einem solchen Fall zu einigen hätte, adäquat berücksichtigt werde. Dass Scherf, anstatt mit den kleinen Ländern, den armen Ländern und den Stadtstaaten zu kooperieren, in den Verhandlungen ständig den Schulterschluss mit Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen suche, das „widerspricht den Interessen Bremens“.

„Mein Eindruck ist völlig anders“, sprang SPD-Fraktionchef Jens Böhrnsen seinem Bürgermeister zu Hilfe. Scherf vertrete die Belange Bremens „hervorragend“ in der Kommission. Auch inhaltlich sei die Regierungserklärung Scherfs ausreichend. Zwar dürfe das Parlament die Föderalismusreform nicht den Ministerpräsidenten und dem Bundestag überlassen. Aber: „Ich will mich nicht im Detail mit den Vorschlägen befassen.“

Bedenken meldete Böhrnsen gegen eine alleinige Zuständigkeit der Länder für Bildung und Hochschule und ein von Land zu Land unteschiedliches Dienstrecht an. Scherf beruhigte: Die Reformvorschläge, welche die Kommission Ende des Jahres präsentieren werde, würden 2/3-mehrheitsfähig sein.

Gegenüber den Grünen rechtfertigte Scherf seine Position mit dem Hinweis, die Länder hätten in den Verhandlungen mit dem Bund nur dann eine Chance, wenn sie gemeinsam aufträten. Linnert habe „einfach keine Ahnung“ von der Sache: „Sie reden wie Blinde von den Farben.“

Die Grünen forderten derweil eine Änderung der bremischen Landesverfassung. Dem Antrag zufolge, den sie gemeinsam mit SPD und CDU einbringen wollen, müsse der Senat der Bürgerschaft künftig bei Bundes- und Europaangelegenheiten die Möglichkeit zur Stellungnahme geben und diese gegebenenfalls auch „maßgeblich berücksichtigen“. Armin Simon