: Ohne Sex wird alles gut
Religiöse Gruppen sind die größten Gegner einer weltweiten Familienplanung. Nicht nur in den USA
Abstinenz, nichts anderes, schütze vor ungewollten Schwangerschaften und Aids. Das bekommt inzwischen schon ein Drittel aller amerikanischen Schüler eingetrichtert. Aufklärungsunterricht wurde vom Stundenplan gestrichen. Stattdessen wird „abstinence only“ gepredigt: kein Sex vor der Ehe und Treue danach. Dabei werden 15- bis 19-jährige Amerikanerinnen fast zehnmal so häufig schwanger wie Gleichaltrige in den Niederlanden oder der Schweiz. Im alten Europa, wo an allen Schulen aufgeklärt wird, liegen die Infektionsraten mit HIV und anderen Geschlechtskrankheiten bei Jugendlichen weit unter denen in den Vereinigten Staaten.
Religiöse Gruppen sind es, die die Familienplanung weltweit unterhöhlen und auf die republikanische US-Regierung Einfluss nehmen, während das Bevölkerungswachstum gerade in den ärmsten Ländern zunimmt. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Report des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Nach der katholischen Kirche stellt sich nun auch „christlich geprägter Fundementalismus made in USA“ gegen Pille und Kondom. So werden Glaubensfragen mit dem Widerstand gegen weltweite Bündnisse beantwortet: George W. Bush hat schon zum dritten Mal sämtliche US-Mittel für den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) sperren lassen.
Der US-Präsident widersetzt sich damit auch dem Aktionsplan der Staatengemeinschaft, der vor zehn Jahren auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo verabschiedet wurde und allen Menschen Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Familienplanungsmethoden ermöglichen sollte – das Recht auf „reproduktive Gesundheit“. Mit dem Geld, das die USA der UNFPA verwehren, hätten jährlich zwei Millionen ungewollte Schwangerschaften und 800.000 Abtreibungen verhindert werden können. 77.000 Säuglinge und Kinder sowie gut 5.000 Mütter, die zu schwach waren, um Schwangerschaft, Geburt oder die ersten Lebensjahre zu überstehen, hätten vor dem Tod bewahrt werden können.
Seit 2001 regiert in den USA zudem die „Mexiko-City-Politik“: Hilfsorganisationen, die auch nur im Entferntesten mit Abtreibung zu tun haben, werden mit keinem einzigen Dollar mehr gefördert. Nun geht die Regierung sogar im Kampf gegen Aids auf internationalen Konferenzen mit ihrer rigiden Abstinenz-Lehre hausieren und setzt sich gegen Kondom-Werbung ein. Drei der sechs größten landesweiten TV-Sender weigern sich, Kondom-Werbespots zu zeigen, die anderen drei senden sie erst nach 22 Uhr. Enthaltsamkeit verkaufen die USA auch den Entwicklungsländern als Mittel gegen Aids. Im „Notplan für Aids-Hilfe“, den Bush 2003 ankündigte, sind ein Drittel der Mittel für Prävention nur für Keuschheitsprogramme vorgesehen.
In einigen amerikanischen Schulen ist es mittlerweile sogar verboten, das Wort „Kondom“ auszusprechen. Gesundheitsexperten fürchten jedoch, dass sich Jugendliche nur unnötigen Gefahren aussetzen, wenn sie nicht genügend aufgeklärt sind und trotzdem Sex haben. Auch die amerikanische Ärztevereinigung spricht sich für eine Wiedereinführung des Aufklärungsunterrichts aus.
Hans Fleisch, der Vorsitzende der Stiftung Berlin Institut, glaubt, dass die Gegner der Familienplanung sogar schon in Europa angekommen sind: „Ihr Druck auf europäische Entscheidungsträger ist gewachsen.“ Nächste Woche erscheint der neue Weltbevölkerungsbericht der UNFPA, die kritischen Punkte werden nicht aufgeführt sein. Fleisch: „Die UNFPA will den Ärger nicht noch vergrößern.“
JULIANE GRINGER