: Zwischen Kennedy und Thatcher
Angela Merkel demonstriert mit einer lange erwarteten Rede ihren Führungsanspruch in der Union – mit einer Rhetorik im Stil des US-Präsidenten und klaren Ansagen nach dem Vorbild der Eisernen Lady. Das wichtigste Wort der ganzen Ansprache: „Ich“
aus Berlin LUKAS WALLRAFF
Ganz am Ende hat sie dann doch gelächelt. Ganz kurz. Ein bisschen. Als die Gäste klatschten und der Gastgeber zu Lobeshymnen anhob, wirkte die CDU-Chefin zum ersten Mal entspannt. „Herzlichen Dank, Angela Merkel“, sagte Bernhard Vogel. „Das war eine Rede über den Tag hinaus.“ Eine Floskel, die sich unter Freunden so gehört? Nein, Merkel hatte tatsächlich mehr geleistet, als man von ihr gewohnt ist.
Der Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte die Oppositionsführerin zum Jahrestag der Deutschen Einheit eingeladen. Nicht irgendwohin, sondern ins Deutsche Historische Museum. Nicht zu einem Nullachtfünfzehn-Grußwort, sondern zu einem eineinhalb Stunden langen Vortrag über die Lage der Nation: „Quo vadis, Deutschland?“
Merkel schien zunächst fast eingeschüchtert von so viel Anspruch, so viel historischer Kulisse. Noch mehr als sonst klammerte sie sich an Rednerpult und Redemanuskript, wie eine Studentin beim ersten Referat. Ohne Regung, ohne große Gesten, las sie ihren Text ab. Langweilig und monoton.
Dazu kam die miserable Akustik im Museum. Merkels Rede drohte im Gewölbe zu verhallen, hätte, ja hätte sie nicht den Mut zu klaren Worten aufgebracht, die trotz des schlechten Vortrags keiner überhören konnte. Selten klafften Form und Inhalt so weit auseinander wie bei der gestrigen Merkel-Rede. Das wichtigste Wort in dieser Rede: „Ich.“
Aber der Reihe nach. Sie sei kürzlich einmal gefragt worden, erzählt Merkel gleich zu Anfang, was der CDU eigentlich fehlen würde, wenn sie, Merkel, 1990 nicht in die Politik und zur CDU gegangen wäre. Ohne mit der Wimper zu zucken, schildert Merkel ihre Antwort: „ ‚Ich’, habe ich gesagt.“
Der Witz dabei: Wenn Merkel so etwas erzählt, muss keiner lachen – weder sie selbst noch das Auditorium, bestückt aus den Granden des konservativen Establishments. Allen ist klar: Sie meint das ernst. Merkel muss nicht mehr beweisen, wie macht- und selbstbewusst sie ist. Nur, was fängt sie mit der Macht an? Was will sie? Wofür steht sie? Quo vadis, Angela Merkel?
Bisher war die CDU-Chefin diesen Fragen meist ausgewichen, hatte sich nicht festgelegt, drohte zwischen den Machern Schröder, Stoiber, Koch im Ungefähren zu verschwinden. Nun, auf Seite sieben ihrer Rede, wird Merkel konkreter. Es geht um die Taktik der Union bei den anstehenden Reformen. „Es wäre ein Leichtes, das Land vor die Wand fahren zu lassen“, sagt Merkel angesichts der Unionsmehrheit im Bundesrat. „Aber das wird es mit mir nicht geben.“ Eine Blockade, wie sie Koch bei der Steuerreform will? „Nein, das ist mit mir nicht zu machen.“ Schließlich lautet Merkels neues Motto, das sich an John F. Kennedy anlehnt und das rhetorische Gerüst der Rede bildet: „Wir müssen mehr für Deutschland tun. Und jeder muss bei sich selber anfangen.“
An ihrer Entschlossenheit, den Stillstand zu bekämpfen, soll niemand zweifeln. An ihrer Entschlossenheit, sich in der Union auch durchzusetzen, erst recht niemand. Die Vorschläge der Herzog-Kommission unterstützt sie deutlich. Auch bei den anderen Sozialreformen kommt an diesem Tag kein Wischiwaschi, sondern Vorgaben der Chefin im Stile Margaret Thatchers. Volle Rente erst nach 45 Berufsjahren? Aber ja doch. Vier Euro Stundenlohn im Billiglohnsektor? Muss sein. Ein bisschen diskutieren darf die Partei noch. Bis zum Parteitag im Dezember. „Dann wird aber entschieden“, sagt Merkel. „Notfalls mit Mehrheit. Und dann erwarte ich, dass alle diese Entscheidungen mitgetragen werden.“ Merkels Rede ist alles andere als der Beginn einer Charme-Offensive der Oppositionschefin. Sie verspricht den Deutschen keine schöne Zeit, falls sie an die Regierung kommt. Im Gegenteil: Die Menschen müssten mehr arbeiten, länger arbeiten und mehr privat vorsorgen als unter Schröder. Denn: „Ich möchte, dass Deutschland nach vorn geht und nicht stehen bleibt.“
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