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Archiv-Artikel

Selten schützt Krankheit vor Abschiebung

Wer als Flüchtling in Deutschland erkrankt, darf so lange im Land bleiben, wie Leib und Leben in der Heimat bedroht sind – auch bei abgelehntem Asylantrag. Schwierig wird es bei den Grenzfällen wie Aidskranken und Traumatisierten

BERLIN taz ■ Wenn ein Flüchtling in Deutschland krank wird, gibt es für ihn eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Krankheit könnte Grund für eine Abschiebung sein. Das wäre jedoch nur dann denkbar, wenn von der Verbreitung eine akute und schwerwiegende Gefahr für Leib und Leben der inländischen Bevölkerung ausginge. Der Flüchtling müsste sich weigern, die Ausbreitung zu verhindern. Die gute Nachricht lautet, dass bisher nach Auskunft des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und zahlreicher von der taz befragter Flüchtlingsexperten kein einziger Fall bekannt ist, in dem ein Ausländer aufgrund seiner Krankheit abgeschoben wurde. Im Gegensatz dazu gilt Krankheit nach § 53 Abs. 6, S. 1 und 2 des Ausländergesetzes als „zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis“. Wenn von der Rückkehr ins Heimatland eine „konkrete Gefahr für Leib und Leben“ ausgeht, darf der Flüchtling bleiben.

Überprüft wird die Gefahrenlage und die medizinische Versorgung im Heimatland vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Das Bundesamt entscheidet nach eigener Aussage auf Basis von Lageberichten des Auswärtigen Amts, der europäischen Menschenrechtskommission und verschiedener NGOs wie Terre des Hommes, amnesty international und Ärzte ohne Grenzen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts dürfen die Behörden den Ausländer nicht abschieben, wenn er „sehenden Auges in den sicheren Tod“ geschickt wird.

Am Beispiel HIV-infizierter Flüchtlinge spalten sich jedoch die Gemüter. Während Flüchtlingsanwälte darauf hinweisen, dass eine ausreichende medizinische Versorgung im Heimatland kaum vorhanden oder nicht bezahlbar ist, argumentiert die Behörde: „Es hängt vom Zielland ab. Einen Aidskranken im Endstadium können wir nicht in ein afrikanisches Land der Subsahararegion abschieben. Anders ist die Lage, wenn er aus Kroatien stammt“, meint Roland Dorfner vom Bundesamt.

Die Zahl der Ausländer, die aufgrund dieser Ausnahmeregelung bleiben können, lag im vergangenen Jahr bei 1598. Sie erhalten eine Duldung für maximal sechs Monate, die verlängerbar ist. Mit 1,2 Prozent der gefällten Entscheidungen liegt die „Erfolgsquote“ bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen – darunter fallen auch Bedrohung durch Folter und Todesstrafe – denkbar niedrig.

Hans Wolfgang Gierlichs, Psychoanalytiker und Leiter einer Arbeitsgruppe, die Begutachtungsstandards bei Traumafolgen entwickelt, bemängelt: „Die Arztgutachten, die beim Bundesamt eingereicht werden, sind häufig fachlich unsauber.“ Der Psychologe erklärt, warum Anträge, die auf eine Duldung wegen Krankheit abzielen, häufig scheitern: „Wenn der Asylantrag gescheitert ist, gehen die Flüchtlinge auf Anraten ihrer Anwälte zum nächsten Arzt. Ein Attest soll ihnen die Abschiebung ersparen, führt jedoch oftmals genau zum Gegenteil.“ Problematisch ist auch die Frage, ob man akut Kranke abschieben darf. Dazu muss die Reisetauglichkeit des Flüchtlings festgestellt werden. Die Innenministerkonferenz hat sich im vergangenen Jahr auf Kriterien geeinigt, nach denen die Flug- und nicht mehr die wirkliche Überlebensfähigkeit im Heimatland geprüft werden soll. Als inlandsbezogene Abschiebehindernisse können der Richtlinie folgend fast nur noch „Zivilisationskrankheiten wie Herzversagen“ angebracht werden, meint Hans Wolfgang Gierlichs. „Diese Diagnosen sind völlig untauglich bei afrikanischen Flüchtlingen – das wissen die Politiker auch“, beklagt der Arzt. In Berlin, Hamburg und in Köln wehren sich die Ärztekammern außerdem gegen Listen von Ärzten, die von den jeweiligen Landesregierungen ausgewählt wurden, um die Flugtauglichkeit von Abschiebekandidaten zu testen. LAURA MÜLLER