: Aufschwung nach Anschlägen
Bürger, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, brauchen Mut, Herz und einen langen Atem. Doch Parteilichkeit fördert unweigerlich Skepsis
von ULRIKE WINKELMANN
Es ist einfach langweilig, wenn immer die Guten den Armen helfen. Wer will das noch hören: dass ein Kurde oder ein Togoer daheim Repressalien befürchtet, die deutschen Behörden ihn aber loswerden wollen, was engagierte Mitmenschen in Saarlouis oder Kiel oder Nürnberg jedoch zu verhindern suchen?
Um Geschichten vom Flüchtling, der Asyl sucht und keines bekommt, glaubhaft zu machen, müssen sie alle möglichen öffentlichen Wahrnehmungsraster passieren: keine Lust auf Political Correctness, Ablehnung von „Gutmenschentum“, Ermattung angesichts moralischer, aber naiver Forderungen. Schwer haben es dadurch zunächst die Betroffenen selbst, aber auch diejenigen, die ihnen helfen; dann die Journalisten, die das Thema unterbringen wollen, und schließlich das Medium, das die Geschichte verkaufen muss.
Konjunktur hat das Thema Flucht und Asyl immer nach rassistischen Anschlägen, wenn Anteilnahme und Aufmerksamkeit gegenüber der Figur des Nichtdeutschen, Nichtdazugehörigen insgesamt geweckt wird. Wobei diese Konjunkturen nicht zuverlässig sind, denn der Medienbetrieb funktioniert im Wesentlichen selbstbezüglich. Ziehen die einen etwas hoch, springen die anderen drauf. Es gibt also keine Garantie dafür, dass Ereignisse gemäß einer definierten „Wichtigkeit“ abgebildet werden. Nicht zuletzt funktionieren die Konjunkturen auch selbstbezüglich. Denn rassistische Anschläge häufen sich, wenn „Ausländerthemen“ die Berichterstattung dominieren.
Doch konjunkturunabhängig haben ungezählte Bundesbürger beschlossen, dass Asyl und Flüchtlinge ihr Thema sind. Grob gesagt, gibt es drei Organisationsformen: das autonome Spektrum, das teils rein theoretisch („Grenzen auf / Bleiberecht für alle“), teils ganz praktisch „Illegale“ unterstützt und Asylverfahren begleitet, dann Kirchen und Sozialarbeit, und schließlich die vielen verschiedenen Menschenrechtsgruppen.
Der Staat zieht seine Gelder zunehmend aus dem „Schmuddelbereich“ Asyl heraus: Steuergelder sollen nicht mehr für Ausländer ohne, sondern nur noch mit gesichertem Status verwendet werden. Den Behörden gegenüber steht jedoch eine wachsende Bereitschaft von Experten, ihren Sachverstand einzusetzen: Ärzte schreiben Gutachten, Oppositionspolitiker schreiben Anfragen und immer wieder führen Rechtsanwälte für ein Minimal-Salär Prozesse.
Nur manchmal dringen Botschaften von Mühen und Erfolgen nach außen. So hat etwa der Fall der kurdischen Familie Özdemir das kleine Wadern im Saarland nun mehrere Jahre aufgewühlt. Seit der Abschiebung der Familie im November 2001 demonstrierten dort Dritte-Welt-Gruppe, Flüchtlingsrat, Lehrer, Schüler, damit die Großfamilie zurückkehren könne. Vor wenigen Tagen durften wenigstens zwei der sieben Kinder aus der Türkei zurückkommen, um hier zu studieren bzw. eine Ausbildung zu machen.
Eine Geschichte von Mut und Herz ist auch die der Hildesheimer Pfarrer Philipp Meyer und Gerjet Harms. Der Kirchenvorstand der Matthäus-Gemeinde gewährte der kurdischen Familie Gündüz seit April 2001 in ihrem Gemeindezentrum Kirchenasyl. Dafür werden die Pfarrer bis heute von den Behörden mit Geldstrafen bedroht. Die Familie aber hat Mitte September ihre Anerkennung erhalten.
Doch die Flüchtlingsarbeit braucht die Medien. Denn ohne Berichterstattung lässt sich die Abschiebemaschinerie selten stoppen. Und die Medien verlangen nach Einzelgeschichten, nach Gesichtern. Deshalb wählen die Menschenrechtsgruppen aus den hunderten Menschen, die sie betreuen, krasse Einzelfälle aus und stellen sie „exemplarisch“ vor.
Doch dieses Vorgehen hat nicht nur den Haken, dass dadurch eine Abwehr des vermeintlich „immer gleichen“ Elends erzeugt wird. Es verdeckt auch, dass dahinter ein Kampf zwischen Flüchtlingsinitiativen und Behörden um die weniger eindeutigen Schicksale tobt, um diejenigen, die nicht so klare „Opfer“ sind, die aber trotzdem hier bleiben wollen – und nach Meinung vieler auch sollen.
Und je geschickter die Flüchtlings-Initiativen werden, ihren Schützlingen ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen, desto unverblümter reagieren die Gerichte und Behörden: mit Ablehnung. Typisch ist die Auseinandersetzung darüber, ob ein Flüchtling vor Gericht glaubwürdig darstellen kann, dass er in seiner Heimat staatlich bedroht wird. Haltung, Mimik, Tonfall spielen da hinein, und Richter sind oft befremdet davon, dass ein Flüchtling „abwesend“ wirkt. Flüchtlingsrechtler argumentieren nun, dass vergangene psychische Belastungen es unmöglich machten, dass ein Flüchtling einen überzeugenden Auftritt böte. Hierzu werden dann oft ärztliche Gutachten zitiert, die eine Traumatisierung diagnostizieren – die in der Folge von Gerichten weniger ernst genommen werden. Sie lehnen die notwendige und geforderte Befassung mit dem Einzelfall schematisch ab, weil sie denken, er gehorche einem Schema. Auf diese Weise schaukeln sich Skepsis und Strategie wechselseitig hoch – was von den Medien nicht unbemerkt bleibt.
Vielleicht kann die Flüchtlingsarbeit den Kampf um Aufmerksamkeit auf Dauer nur gewinnen, wenn es ihr gelingt, den Wettlauf um Glaubwürdigkeit gegen den Staat zu gewinnen.