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Archiv-Artikel

Jenseits von jedem

Der Mensch als Lust suchende Maschine: Peter Mettlers Dokumentar- und Tagebuchfilm „Gambling, Gods and LSD“

Berauscht hat man oft das Gefühl, als wäre das, was geschieht, eine Variation dessen, was schon einmal geschah, nicht als Zwang, sondern als Glück, das einen verbindet mit den anderen und dem anderen, der man früher einmal war.

So ähnlich geht es einem auch, wenn man Peter Mettlers dreistündigen ethnologischen Dokumentar-, Musik- oder Tagebuchfilm „Gambling, Gods and LSD“ anschaut, der ein bisschen an seltsame, intellektuelle Drogenfilme der späten Sechziger, ein bisschen auch an Koyaanisquatsi erinnert; es ist ein Film, bei dem man, auch wegen der großartigen Tonspur, das Zeitgefühl verliert.

Man wird in einen seltsamen Sog gezogen, in dem es nicht mehr wichtig ist, ob man beim Gucken für Momente abschaltet oder versucht, alles genau zu verstehen. Es geht um Erinnerung, Transzendenz, Wiederholung, individuelle und kollektive Ekstasen, um Wissenschaft, Trance und Glück. Und Sehnsucht nach dem Anderen, das man sucht, um dem Eigenen zu begegnen: Am Anfang erzählt ein drogensüchtiger Freund, wie es war, als er als kleiner Junge von zu Hause weggelaufen ist, wie er sich das früher so vorgestellt hatte; das geheimnisvolle Leben.

Anderthalb Stunden später wird die Kindersehnsucht nach dem großen, echten Leben wieder aufgenommen, wenn, nach Bildern von der Züricher Street-Parade und Interviews mit einem klugen Junkiepärchen, der 97-jährige LSD-Erfinder Albert Hoffmann im Fernsehen von einer naturmystischen Kindheitserinnerung spricht und wie sich dies Erlebnis des Einsseins sozusagen in seinen Trips wiederholt hatte.

Kommentarlos verweilt der Film auf der Massenveranstaltung einer christlich-amerikanischen Sekte mit Leuten, die in Trance fallen und am Mikro davon berichten, wie Jesus auf einem weißen Pferd vorbeikam. In Las Vegas sagt der Erfinder eines autoerotischen Stuhls mit erotischer Elektrostimulation und diversen Kolben: „Entkleidet vom Individuellen ist der Mensch eine Maschine, die nach Lust sucht.“ Angeschlossen an die Lustmaschine ist der Mensch allein und ganz im Augenblick, unverbunden mit den anderen wie die Frau wenig später, der Jesus mit Sonnenbrille oft im Traum begegnete. Sie ist erleuchtet, aber eben nur für sich.

„Alles, was wir sehen, ist nur Einbildung und Atem ist die Welt“, heißt es später in Indien. Natürlich wirken die Rituale im klassischen Land spiritueller Sehnsucht natürlicher. Gemeint ist aber letztlich das Gleiche.

DETLEF KUHLBRODT

„Gambling, Gods and LSD“. Regie: Peter Mettler. Schweiz 2002, 180 Minuten, Termine siehe Programm