piwik no script img

Archiv-Artikel

Wenn Äther und Astral aus der Balance geraten

Es gibt zwar zahlreiche klinische Studien zur anthroposophischen Medizin, doch keine einzige davon erfüllt die wissenschaftlichen Kriterien

Die anthroposophische Medizin gehört zu den großen Trends der Naturheilkunde. Kaum ein wunder Kinder-Popo, auf dem nicht eine der Salben des anthroposophischen Heilmittel- und Kosmetikaherstellers Weleda verrieben würde. Immer mehr Ärzte und Kliniken bemühen die Heilkunde im Geiste Rudolf Steiners, der auch die Waldorfschulen gründete. Die von ihm als Krebsheilmittel entdeckte Mistel ist mittlerweile berühmter als sämtliche anderen Krebstherapien, vor kurzem wurde an der Universität Witten-Herdecke für angehende Ärzte sogar ein Begleitstudium in anthroposophischer Medizin eingerichtet.

Dennoch: Wissenschaftlich orientierte Mediziner bleiben skeptisch. Sie stören sich an dem spirituellen Hintergrund, in der Begriffe wie Astral- und Ätherleib auftauchen. Die Steiner’sche These von den vier unsichtbaren, aber erlebbaren „Wesensgliedern“ des Menschen, die sich zueinander in einer bestimmten Balance verhalten müssten, passt so gar nicht zur Sprache der Wissenschaft, in der es um belegbare Fakten geht. Oder wie es die Stiftung Warentest feststellte: „Dem Normalmediziner fällt das Denken in anthroposophischen Kategorien schwer.“

Der pauschale Vorwurf jedoch, wonach zur anthroposophischen Medizin zu wenig Forschungsarbeiten vorliegen würden, ist nicht haltbar. Professor Edzard Ernst von den englischen Universitäten Exeter und Plymouth fand in seiner aktuellen Übersichtsarbeit immerhin 112 klinische Studien dazu. Das ist weitaus mehr, als andere Naturheilverfahren wie etwa Bachblüten- und Aromatherapie zu bieten haben. Der Haken ist jedoch: Keine einzige der 112 entspricht den Kriterien, die üblicherweise an eine klinische Forschungsarbeit gestellt werden. „Und das“, so Ernst, „ist enttäuschend und bedeutet zunächst einmal, dass keine der Behauptungen von Seiten der anthroposophischen Medizin wissenschaftlich wirklich abgesichert ist.“

Zwar lägen, wie Ernst betont, für einige Einzelanwendungen wie der Mistel durchaus brauchbare Studien vor. Deren Ergebnisse würden jedoch nicht zweifelsfrei belegen, dass Mistelextrakte das Wohlbefinden von Krebspatienten positiv beeinflussen. Also auch von dieser Seite kommen letzten Endes keine Wirksamkeitsbelege.

Bleibt festzuhalten, dass einige Mediziner recht erfolgreich mit der anthroposophischen Methode arbeiten. Die Deutsche Gesellschaft anthroposophischer Ärzte zählt bereits 1.000 Mitglieder, und typische Heilmittel wie Mistel und Ringelblumen-Cremes werden auch von Medizinern genutzt, die sich nicht zu den Steiner-Anhängern zählen. Die Stiftung Warentest stellt zudem anerkennend fest, dass Anthroposophen auch da weiter behandeln, „wo nach üblichem medizinischem Ermessen nichts mehr zu erreichen ist, der Patient aber Hilfe braucht“.

All das sollte jedoch nicht dazu führen, wie Ernst betont, die Methode nach dem Muster „Sie schadet nicht, und einigen hilft sie, also kann man sie auch anwenden“ zu betrachten. Denn in der medizinischen Literatur finden sich durchaus Berichte von negativen Effekten. So fanden holländische Forscher bei Kindern aus anthroposophischem Umfeld deutlich verschlechterte Immunwerte. Ernst warnt daher: „Der anthroposophische Ansatz ist möglicherweise gar nicht so risikolos.“ Es müsse deshalb weiter geforscht werden, ob er den Menschen mehr schadet als nützt. JÖRG ZITTLAU