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Archiv-Artikel

„Juden sind die liberalsten Amerikaner“, sagt David A. Harris

In den USA hat der Bezug zur „jüdischen Lobby“ keinen schlechten Beigeschmack – im Gegensatz zu Europa

taz: Wenn ein Deutscher eine Stellungnahme mit dem Satz beginnt: „Der Einfluss der jüdischen Lobby auf die US-Regierung ist sehr groß“, kann man recht sicher sein, dass etwas Antisemitisches folgt. Haben Sie Probleme damit, den Ausdruck „jüdische Lobby“ zu nutzen?

David A. Harris: Ich habe da Probleme, weil ich genug Erfahrungen gemacht habe in Europa, nicht nur in Deutschland, dass, wenn dieser Ausdruck genutzt wird, darunter tiefere Bedeutungen und Implikationen liegen, die jenseits dessen gehen, was man normalerweise unter „Lobby“ versteht. In Europa gibt es die Bauern-Lobby – wir wissen, wie stark sie in Frankreich ist. Es gibt Business-Lobbys. In den USA gibt es eine ganze Brandbreite an ethnischen, religiösen und anderen Lobbys. Aber wenn ich hier in Europa Bezüge auf die „jüdische Lobby“ höre, bin ich besorgt, weil ich glaube zu verstehen, was hinter diesem Ausdruck steckt.

Hat die „jüdische Lobby“ einen hohen Einfluss auf die Bush-Regierung?

Zunächst einmal müssen die Europäer verstehen, dass Lobbying in der amerikanischen Politik eine ganz normale und natürliche Aktivität ist. Jede Gruppe versucht, Einfluss zu nehmen, ob das Ärzte sind, kubanische Amerikaner, Katholiken, Farmer. Juden sind da nicht anders. Juden haben Interessen. Sie haben Sorgen, etwa über Israel und die amerikanisch-israelischen Beziehungen.

Sie haben hier in Deutschland mit den Spitzen des Staates gesprochen, dem Präsidenten, dem Kanzler – ist es schwieriger, Zugang zu Bush zu bekommen?

Wir haben gute Kontakte zu politischen Führern in den USA und im Ausland. Das ist das Ergebnis von vielen Dekaden der diplomatischen und politischen Arbeit. Ich glaube, wir bringen hoffentlich eine offene Einstellung, den Willen zum Zuhören und zur Diskretion ein, die uns zu verlässlichen Partnern macht.

Wenn Sie mit Bush sprechen wollen – wie lange dauert es, bis Sie ein Treffen mit ihm bekommen? Monate, Wochen?

Wir haben und hatten guten Zugang zu der politischen Spitze, sei es die Bush- oder die Clinton-Regierung davor. Es gibt da keine Formel, wie lange das dauert. Präsident Bush hielt jedenfalls seine erste öffentliche Rede nach seiner Amtseinführung, im Januar 2001, in der Jüdischen Gemeinschaft beim American Jewish Committee (AJC) im Mai 2001.

Dringen evangelikale Führungsfiguren leichter zu ihm durch?

Evangelikale oder „Re-born-Christs“ sind ein wichtiger Teil seiner Wählerbasis. Da kann es nicht überraschen, dass sie einen guten Zugang zu ihm haben.

Haben diese Gruppen da mehr Einfluss als etwa Ihr AJC?

Mehr als 20 Prozent der US-Bürger, mehr als 50 Millionen, definieren sich als evangelikal – eine große demografische Basis für die „Republikaner“.

Ein früherer Führer der „Christian Coalition“ hat gesagt: „Hitler war schlimm, aber was die Muslime den Juden antun wollen, ist schlimmer.“ Sind solche Christen hilfreich, etwa beim Thema Israel?

Bei Juden, Katholiken und Evangelikalen gibt es Teilgruppen und Teilungen. Aber als Gruppe sind die Evangelikalen generell sehr stark für Israel. In dieser Hinsicht sind sie natürliche Freunde bei Themen, die Israel betreffen. Aber: Bei den meisten innenpolitischen Themen ist die jüdische Gemeinschaft in der Regel anderer Meinung.

Zum Beispiel?

Oh, bei vielen Themen! Sie neigen dazu, ziemlich konservativ, die Juden eher dazu, liberal zu sein. Etwa bei den Rechten von Homosexuellen, den Waffengesetzen, der Trennung von Staat und Kirche, der Abtreibung. Juden gehören häufig zu den liberalsten Amerikanern. Es gibt da keine permanenten Allianzen.

Wie Sie sagten, ist eines Ihrer Themen im Weißen Haus Israel. Wird ein Teil der US-Politik gegenüber Israel von den jüdischen Sorgen gestaltet?

Das hoffe ich!

Ist es mit Bush leichter als mit Clinton?

Die Mehrheit der Amerikaner, jüdisch und nicht jüdisch, ist instinktiv für Israel. Es gibt das Gefühl in Europa, es sei die alte jüdische Lobby, die die US-Politik führe. Das stimmt nicht. Jüdische Organisationen wie das AJC sind aktiv, aber wir sind da nicht allein. Die Mehrheit der Amerikaner unterstützt Israel als demokratischen Staat, Verbündeten der USA, Heimat des Christentums und Judentums. Sie glaubt: Das jüdische Volk braucht eine Heimstatt nach dem Holocaust.

Im Jahr 2000 votierten nur 24 Prozent der jüdischen Amerikaner für Bush, 66 Prozent für Al Gore. Hat Bush deshalb vielleicht ein nicht so offenes Ohr für jüdische Vertreter?

Ich glaube nicht, dass der Kandidat George Bush im Jahr 2000 einen hohen jüdischen Wähleranteil erwartet hat. Al Gore war in der jüdischen Gemeinschaft seit Jahren sehr gut bekannt und als großer Freund des jüdischen Volkes angesehen. Dieses Jahr tritt Bush nicht mit Versprechungen an, sondern mit seinen Taten. Er glaubt, dass die Wahlen sehr knapp werden, deshalb zählt jede Stimme, vor allem in Schlüssel-Staaten wie Florida. Die „Republikaner“ wollen ihren Anteil an der jüdischen Wählerschaft im Vergleich zu 2000 erhöhen. Für mich als jüdischen politischen Aktivisten ist es wichtig, dass beide Parteien die jüdische Wählerschaft für wichtig halten. Sie wollen die jüdischen Wähler, wie sie alle wollen. Und sie kämpfen um die jüdischen Wähler. Das ist gut.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER