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Archiv-Artikel

Neuerliche Drohungen Israels gegen den Iran

Sitzung der Internationalen Atombehörde wirft ihre Schatten voraus. Israel kündigt Maßnahmen gegen iranisches Atomprogramm an. Angeblich haben Geheimdienste bereits Pläne zu Blitzangriff auf iranischen Atomreaktor vorgelegt

BERLIN taz ■ Zwischen Israel und dem Iran wachsen die Spannungen. Er habe keinen Zweifel mehr daran, dass die Islamische Republik Iran den Bau von Nuklearwaffen anstrebe, erklärte Israels Ministerpräsident Ariel Scharon kürzlich in einem Interview mit der Jerusalem Post. Er halte die Inspektionen der Atombehörde sowie die von den USA angeforderten Sanktionen für nicht ausreichend. Der Iran stelle eine ernste Bedrohung für Israel dar, denn das Land verfüge inzwischen über Langstreckenraketen, die Israel erreichen könnten. Deshalb sei Israel dabei, zu seiner Verteidigung „eigene Maßnahmen“ zu treffen. Um welche Maßnahmen es sich handelt, sagte Scharon nicht. Berichten aus dem Iran zufolge werden dort zurzeit Freiwillige gesucht, die sich als lebende Schutzschilde für den Atomreaktor Buschehr zur Verfügung stellten.

Schon seit Monaten wird über einen möglichen Blitzangriff Israels auf iranische Atomanlagen spekuliert. Laut Presseberichten sollen israelische Geheimdienste der Regierung längst entsprechende Pläne vorgelegt haben. Manche Beobachter gehen davon aus, dass ein solcher Angriff in Absprache mit der Bush-Regierung schon vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November stattfinden könnte. Im letzten Monat waren daraufhin im Iran Drohungen laut geworden, der Iran werde den israelischen Reaktor Dimona zerstören, falls Israel die iranischen Atomanlage angreifen sollte.

Mit der neuerlichen Drohung aus Jerusalem sollen offensichtlich die Mitgliedstaaten des Gouverneursrats der Internationalen Atombehörde (IAEA), der am kommenden Montag in Wien tagen wird, unter Druck gesetzt werden. Hauptthema der Tagung ist das iranische Atomprogramm. In dem vertraulichen Bericht, den IAEA-Generalsekretär Mohammed al-Baradei den Ratsmitgliedern vorgelegt hat, wird dem Iran zwar Kooperationsbereitschaft bescheinigt, zugleich jedoch betont, dass wichtige Fragen vor allem bezüglich der Anreicherung von Uran noch ungeklärt seien.

Die USA teilen die Ansicht Israels, dass Iran Atomwaffen entwickelt. „Wir sind überzeugt, dass es nun Zeit für Maßnahmen ist und die IAEA das Thema an den Sicherheitsrat überweisen sollte“, sagte US-Außenminister Colin Powell am Dienstag. Demgegenüber ist die Haltung der EU-Staaten noch ungewiss. Deutschlands Außenminister Joschka Fischer warnte Anfang der Woche, die nuklearen Ambitionen Irans seien Besorgnis erregend. Teheran habe die mit den drei EU-Staaten getroffenen Vereinbarungen nicht umgesetzt. Der Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats und Chefunterhändler für Atomfragen, Hassan Rohani, erklärte daraufhin, sein Land sei bereit, die Uran-Anreicherung auszusetzen, wenn der Konflikt nicht an den UN-Sicherheitsrat verwiesen werde und die EU-Staaten die Weitergabe der Atomtechnologie an Iran zur friedlicher Nutzung garantieren würden. Irans Staatspräsident Mohammed Chatami erklärte: „Als Muslime dürfen wir keine Nuklearwaffen einsetzen. Und jemand, der sie nicht anwenden darf, wird sie auch nicht produzieren.“

Auffallend ist die Doppelzüngigkeit der iranischen Politiker im In- und Ausland. Revolutionsführer Ali Chamenei und das mehrheitlich von Konservativen besetzte Parlament haben immer wieder betonen, dass sie dem Druck von außen nicht weichen und den Bau von Zentrifugen sowie die Urananreicherung fortsetzen werden. Parlamentspräsident Hadad Adel und andere Abgeordnete haben sogar mit dem Ausstieg aus dem Atomsperrvertrag gedroht. Unter den derzeitigen Umständen wäre das Parlament wohl auch kaum dazu bereit, das von der Regierung Chatami unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Atomsperrvertrag, das der Atombehörde unangemeldete Kontrollen erlaubt, zu ratifizieren. Die Frage ist, ob die Mitglieder des IAEA-Gouverneursrats sich auch dieses Mal auf die Taktik Irans, die schon seit über zwei Jahren erfolgreich erprobt wird, einlassen werden. Nach Einschätzung der Diplomaten in Wien werden die EU-Staaten zwar auch dieses Mal eine Übergabe der Akte des Iran an den UN-Sicherheitsrat verhindern, aber den Iran ultimativ auffordern, bis zur nächsten Ratssitzung im November sein Atomprogramm vollständig offen zu legen und jede Aktivität zur Anreicherung von Uran einzustellen. BAHMAN NIRUMAND