: Vor der lieben, ruhigen Ehe
VON JASNA ZAJCEK
Kulturen dieser Welt zu erfahren ist ja ganz einfach: Vor allem frau, ohne Mann und Ring am Finger, weiß, dass internationaler Austausch problemlos auch in der Horizontalen erlebt werden kann. Nicht unbedingt jedoch in jenen Teilen Ägyptens, die abseits der ausgetretenen touristischen Trampelpfade liegen.
Mohammed war 28, unschuldig und weltunerfahren. Der Hübsche, gut und gläubig erzogen, bat mich bei einer Tasse Tee, ihm unsere Welt zu erklären. Weder seine Freunde noch das Internet hatten ihm bislang seine brennenden Fragen an den Westen beantworten können. Er wirkte freudig aufgeregt, fast erregt ob der nahenden Erklärung.
Folgendes hatte sich begeben: Vor kurzem war Natascha zu ihm gekommen. Er hütete, wie jeden Tag, die Wasserpfeifen in seinem Lädchen. Die junge Russin begann nach kurzem Gespräch, ihm Komplimente zu machen. Sie schien ihn nett zu finden. Mohammed war Ähnliches noch nie passiert. Er reagierte schüchtern, verdutzt und, ganz verschämt, erfreut. Bald kam sie wieder in seinen stets kundenfreien Pfeifenladen. Dankbar und glücklich griff er die Bälle der einfachen Kommunikation auf, die sie ihm zuwarf.
Englisch war nicht die Muttersprache der beiden. Trotzdem wollte er Freundschaft schließen, wie schon zuvor mit anderen Europäern. Normalerweise, erläuterte Mohammed, schickt man sich bei so einer Freundschaft E-Mails oder SMSe. Kommen die Reisenden dann ein zweites Mal zurück, lädt man sich gegenseitig zum Tee ein, plaudert und scherzt, wie nicht nur in Ägypten unter Freunden üblich.
Doch diese Begegnung schien sich andersartig zu entwickeln. Denn Natascha lud ihn zu einer Strandparty ein. Eingangs sträubte er sich zu kommen. Hatte Furcht vor Alkohol, denn Russen trinken gern, das wusste es bereits. Sie aber bestand auf seiner Anwesenheit, und um die Einladung mit Dringlichkeit zu versehen, fiel ihr auch noch ein, dass sie Geburtstag hatte. Der aufkeimenden Freundschaft halber rang er sich durch, zur vermeintlich verwerflichen Beachparty zu gehen. Doch – quelle surprise! – die Festgesellschaft fand nicht statt, der Strand sah nicht nach Feier aus. Zur Mitternacht saß er verwundert am anlandenden Roten Meer, als sich Natascha unbemerkt von hinten anschlich, ihm schwere Brüste ins Genick drängte und seinen Kopf herumzerrte. Der Weibsteufel in Person! Mohammed lief geschockt davon. Ihm wurde klar: Sie hatte gelogen. Die Freundschaft war geheuchelt. Sie wollte: Sex! „But how can this be?“, lautete nun seine zentrale Frage.
Es ist ja so: In der Universität hatte er schon eine Freundin, die er liebte. Mit der er Händchen haltend zarte Küsse tauschte. Doch da ihm die Ägyptischen Pfunde fehlten, um Hochzeit und Wohnung aus- und einzurichten, beendete er die Liaison. Nach drei schmachtenden Jahren ohne Jackpot in Sicht empfahl der Jüngling seiner sanften Kopftuchschönheit, nicht im Warten auf ihn zu vergehen. Denn bis er die 15.000 Euro für Gold, Feier und Aussteuer beisammen hätte, würden Jahre, Jahrzehnte vergehen.
Nun brannte es ihm auf der Seele: Wie es denn sein könne, dass eine junge Frau nicht auf die Liebe warten wollte? „In meinen Gedanken ist es schon“, sagte er – andeutend, dass er sich gerne vorstelle, eine Ausländerin zu lieben und zu heiraten. Nach Probezeit, mit langer Freundschaft, das mache für ihn Sinn. Wenn sie denn gläubig sei, egal gemäß welcher monotheistischen Religion. Nur atheistisch ginge gar nicht. Dann überschlug sich seine Stimme fast: „Wissen die in Russland nicht, dass der Körper nur für den Ehepartner bestimmt ist?“ Wie frau sich denn nach nur so kurzer Zeit, in der ja gerade mal die Freundschaft am Wachsen war, hingeben könne? Erleuchtung in das interkulturelle Dunkel zu bringen war nun mein Job.
Welch großes Glück, dass er zuvor nur auf Natascha, nicht aber auf Karina aus Berlin gestoßen war! Karina, 52, ist bekennende „Flirttouristin“ der ersten Stunde. Seit nunmehr vierzehn Jahren verdreht sie mit ihrer reifen Weiblichkeit der Pharaonensöhne Köpfe. Um sie ganz gezielt zu nehmen. Manchmal blickt Karina vor lauter schnieken Ibrahims, Ahmeds und Saids schon selbst nicht mehr durch. Doch sie ist lieb zu ihren Jungs. Meist macht sie ihren dreißigjährigen jungfräulichen Helden Geschenke, manchmal hilft sie auch mit Geld. Aber sie hat mehr als einen, dafür aber keine Gebärmutter mehr, und deshalb vögelt sie mit vielen, ungeschützt, in einem kleinen Dorf. Hätte ich Karinas Philosophie samt Verhalten erklären sollen, hätte ich Mohammed wahrscheinlich komplett verstört. Die Erläuterung des Russengirl-Verhaltens traute ich mir gerade noch so zu – sexuell-kultureller Brückenbau auf easy English sozusagen.War sie eine der zahlreichen im Nahen Osten umtriebigen Prostituierten? Gehörte sie zu den Frauen, die in Moskau in Champagner baden?
Entschlossen, sein freiheitliches Bild vom Westen nicht gleich durch die neuen Russen verzerren zu lassen, setzte ich niedriger an. Wir West- und besonders Ostgirls schauten in der selbstbestimmten Partnerauswahl genau hin. Doch das Körperliche müssten wir nicht zwingend in die Ehe pressen. Dass wir ganz gern Erfahrungen machten, um später vielleicht mal eine liebe, ruhige Ehe zu erleben. Nachdem wir die Welt und auch Männer kennen lernen konnten. Dass wir eher wenig gläubig seien. Dass wir unseren Gott als einen Liebe Schenkenden sähen. Einen, der auch Kurzzeitiges und Spontanverknallung gerne gutheißt.
Mohammed war noch unverständig, also ging die Lektion weiter. Er hörte von der Revolution der Frau, von weiblichen Menschen, die Emanzipation und sexuelle Freiheit mit der Muttermilch tränken. Konnte ich ihm glaubhaft erklären, dass wir zur Anstandswahrung kein Kopftuch bräuchten? Dass wir Spaß liebten, Verhütung dabei wichtig sei und wir es trotz kurzer Röcke nicht schätzten, als Freiwild gesehen zu werden – es sei denn, wir wollten es so dringend wie das Russenmädchen. Und dass man dem Menschen, der gerade besonders wichtig ist, auch zu Wahrheit, Respekt und sogar temporärer Treue verpflichtet sei – Natascha also mitnichten zwingend geplant habe, nach ihm den Rest des Dorfes flach zu legen. Sie habe ihn wohl einfach gern gemocht und ganz der russischen und emanzipierten Natur nach mit Begehren auf die verzaubernde Unschuld des Wüstenprinzen reagiert. Sie wollte wahrscheinlich Ehe mit ihm üben. Man sage schließlich über Russen, ihr Herz sei groß – deshalb sei es bei der guten Natascha vielleicht so wahnsinnig schnell gegangen.
Bei Mohammed sah ich es im Kopfe rattern. Er sprach langsam einzelne Worte nach und merkte sich die Jahreszahlen. 1918. 1945. Stotternd wiederholte er immer wieder: 1968. Er bat um Bedenkzeit. Er müsse dies alles verkraften, überdenken, mit seinen Freunden bei einer Tasse Tee besprechen.
Nachts konnte ich nur schlecht schlafen. Durch meinen Traum flitzten ständig leuchtende Neonschriftzüge mit bösen Worten wie „Sexualität – Vehikel der Globalisierung!“, „primitivster Imperialismus!“, „westliche Infiltration!“. Hatte ich richtig gehandelt oder unnötig irritiert? Die einheimische Welt verwirrt in einem Ausmaß, dessen Ende unabsehbar schien? Ihn gar in eine Identitätskrise gestürzt, die zu seiner Radikalisierung, bis hin zum Attentäter, führen würde? Doch Moment! Er war ein junger Mann mit akzeptablem Englisch, studiert und interneterfahren. Und die Russin hätte er niemals auch nur ansatzweise verstehen können. Hätte ich Aufklärung verweigern sollen, aus Respekt vor seiner Kultur, seiner Religion? Ganz sicher: nein.
Tags drauf traf ich ihn erneut. Im Teehaus hatten er und seine Freunde einen Konsens mit dem Westen gefunden: Beim nächsten Girl wird abgewartet. Wenn sie dann E-Mails schreibt und wiederkommt, mit ihm von Heirat sprechen mag, dann wird sie seines Leibes würdig. Dann, und nur dann, wäre er bereit, sich hinzugeben. Immerhin: auch trauscheinfrei.
JASNA ZAJCEK, 30, lebt als freie – und unverheiratete – Autorin in Berlin