Die übers Wasser gehen wollen

Strategische Zukunftsentscheidungen, Absatzmärkte, Wachstumsträume: Auf dem Gipfel des Baltic Development Forums in Hamburg erklären Banken, Konzerne und Politiker die Ostsee endgültig zum Wirtschaftsweg zu Wachstum und Weltgeltung

Kuchen gilt es zu backen, um sich ordentliche Stücke abzuschneidenHeute ist die Stunde für strategische Entscheidungen für die World Leadership

von Sven-Michael Veit

Gediegen. Kein anderer Begriff vermag sie besser zu beschreiben, die Gesellschaft, welche sich ab morgen in Hamburg zusammenfindet. Nun gut, gekrönte Häupter, deren drei immerhin aufzubieten wären, würden dem Ereignis gewiss zusätzlichen Glanz zu verleihen wissen, zuvörderst der Eröffnungsgala am Sonntagabend im altehrwürdigen Großen Festsaal des Rathauses. Aber so recht etwas zu melden haben die in Frage kommenden skandinavischen MonarchInnen eh nicht im operativen Geschäft, und dieses soll schließlich die Hauptsache sein auf dem dreitägigen Gipfeltreffen des Baltic Development Forums (BDF) in der Hansestadt.

Dort werde „eine Strategie für die neue Entwicklung der Ostseeregion erarbeitet“, so die Erwartung von Forums-Chef Uffe Ellemann-Jensen. Nicht nur für den früheren dänischen Außenminister ist die Richtung dabei unzweifelhaft. Spätestens seit der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft Anfang Mai ist die Ostsee zum „europäischen Binnenmeer“ geworden, das zwei Pole miteinander verbindet: Die westliche Ostsee zwischen den Zentren Malmö, Kopenhagen und Hamburg ist die wirtschaftlich am stärksten boomende Region der EU, im näher rückenden Osten liegen die noch weitgehend unerschlossenen Rohstoff- und Absatzmärkte in Polen, den drei baltischen Staaten und Russland.

Mit mehr als 100 Millionen Einwohnern bietet der Ostseeraum ein „Konsumenten-Äquivalent“, wie es im BDF-Jargon heißt, von einem Drittel des US-Marktes. Kuchen gilt es hier zu backen, von denen manche sich ordentliche Stücke abzuschneiden gedenken. Und deshalb wird ein Thema im Zentrum aller Debatten stehen: „Can this Region become a World Leader?“ Die Antwort, welche der Gipfel zu geben sich anheischig macht, kein Zweifel, wird „Ja“ lauten.

Dafür bürgt allein die „hochkarätige“ Teilnehmerschar, über die Hamburgs Senatspressestelle in Jubelstürme ausbricht. Fast alle Regierungschefs der Anrainerstaaten werden persönlich erscheinen oder ihre EU-Minister schicken, Handelskammern und Wirtschaftsverbände entsenden Repräsentanten dutzendfach, die Chefetagen der größten in Nordosteuropa ansässigen Konzerne glänzen mit Heerscharen von Vorständlern, die Weltbank schickt einen Beobachter, und mit Direktoren der chinesischen Staatsreederei China Shipping und des Welthandelszentrums in Shanghai kommen erstmals Spitzenmanager aus dem erwachenden Reich der Mitte zum Ostsee-Gipfel. Unter diesen etwa 400 Entscheidungsträgern drohen regionale Politspitzen wie die MinisterpräsidentInnen von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Heide Simonis und Harald Ringstorff (beide SPD), ebenso zu Randerscheinungen zu werden wie der gastgebende CDU-Bürgermeister Ole von Beust.

Dabei sind gerade diese drei es, die seit geraumer Zeit nach Osten starren wie niemand sonst in (Nord-)Deutschland. Das Hauptinteresse der Mecklenburger besteht dabei darin, nicht zum Transitland im toten Winkel zu werden. Von LKW-Kolonnen, die auf der ihrer Fertigstellung harrenden Ostseeautobahn A20 von den Bremer und Hamburger Häfen ins polnische Stettin dieseln, hätten sie kaum mehr als die Abgase, von den vorbeifahrenden Tankern und Containerfrachtern auf der Ostsee wenig, und erst recht gar nichts vom geplanten Brückenschlag über den Fehmarnbelt, dieses letzte Hindernis für die freie Fahrt vom Nordkap nach Gibraltar.

Denn Hamburg und Schleswig-Holstein sind es, die ihre geopolitischen Vorteile auszureizen entschlossen sind. Die Hansestadt sieht sich als „Drehscheibe“ der Handelsströme und „gedachter Atlantikhafen“ für den gesamten Ostseeraum. Damit auch ja keine Tonne Fracht an den Pfeffersäcken von der Elbe vorbeigeht, bauen sie munter ihr Filialnetz aus. Brunsbüttel am Nord-Ostsee-Kanal für Schwer- und Schüttgut, Lübeck als Verteilerkopf für Container gen Osten.

Das Außenhandelsvolumen zwischen Nordeutschland und den EU-Staaten an der Ostsee soll sich bis zum Jahr 2010 auf locker 200 Milliarden Euro verdreifachen – und da ist Russland noch nicht mit eingerechnet. Schätzungen sprechen von einer Verdoppelung des Wirtschafts-Schiffsverkehrs binnen der nächten zehn Jahre auf rund 140.000 Fahrten per anno. Und dabei ist das Mare Balticum schon jetzt das Gewässer mit der weltweit zweithöchsten Zahl von Schiffsbewegungen – übertroffen nur noch von der Nordsee.

Das nördliche Nachbarland zwischen diesen beiden Meeren setzt ebenfalls alle seine Hoffnungen ins Wasser. Eine Studie „Zukunft Meer“ stellte Simonis im April vor, 300 Seiten mit 22 Projekten aus Tourismus, Werftindustrie, Schiffs- und Hafentechnologie oder Offshore-Windanlagen, die Schleswig-Holstein zur „Maritimen Europäischen Modellregion“ machen sowie für „mehr Innovation, mehr Arbeitsplätze, mehr Wachstum“ sorgen sollen.

„Heute“ sei die Stunde für strategische Entscheidungen, sagt Ullemann-Jensen, um „die Rolle der Ostsee als Europas am stärksten wachsende Region zu festigen“. Die Ziele des Hamburger Gipfels seien, so der BDF-Chef, „starke Partnerschaften“ und der „gemeinsame Wille zum Agieren“.

Sie gehen über Wasser für die World Leadership.