Die rote Weiße

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Heidemarie „Zausel“ Wieczorek-Zeul

Da blieb ihr die Stimme im Hals stecken, und die Worte verstopften ihren Kehlkopf

Es war ein Tag, als hingen tausend Sonnen am Himmel. Nicht nur wegen der Hitze! Zwar hätte man in der Tat auf der nackten Haut der Eingeborenen Schnitzel braten können. Aber was diesen Tat in der Tag, Pardon: was diesen Tat tagtäglich, nein: was diesen Tag tatsächlich auch von innen mit heißer Freude füllte, was ihn unerwartet für alle Anwesenden aus dem trockenen Trott der Zeit herausbrach und in das fette Buch der Menschheitsgeschichte einbrannte, was diese große Stunde, einem riesigen Nashorn gleich, das wie ein urzeitlicher Saurier plötzlich aus dem Busch hervorstiebt, was kurzum diese ungeheure Minute so vollkommen unvergesslich machte wie eine Bombe, die auf dem Mittagstisch … äh … Rednerpult … öh … was war jetzt … worum ging es … ach, was soll’s. Inzwischen erinnert sich doch sowieso niemand mehr daran! Nicht mal die, die da … wo …

Ja, richtig! Heidemarie Wieczorek-Zeul, die weiße Entwicklungsministerin aus Berlin! Sie hatte im August 2004 das schwarze Namibia besucht und am 14. 8. desselben Monats in Okararara, nein: in Okakakararara, auch nicht: am historischen Waterberg eine Rede in den Mund genommen. Und siehe, ja höre, da blieb ihr die Stimme im Hals stecken, und die Worte verstopften ihren Kehlkopf, und ihre Augen erstaken in Rührung, und dann drung es aus ihr heraus, was niemand der offiziellen Politiker und privaten Namibier zu hoffen gewagt haben hätte: Die hohe Frau aus Deutschland bat sprachlich um Vergebung für die deutschen Kolonialtruppen, die 1904 nach der Schlacht am immer noch hier befindlichen Waterberg 70.000 besiegte Hereros umbrachte, aushungerte oder mit ihren Familien in die Wüste trieb, wo sie verdursteten. Geschafft!

Und wie die sonst so bleiche, jetzt vor Scham angelaufene Ministerin nach diesen 90 Jahren wieder ihr Gehirn ankurbelte, traute sie ihren Sinnen nicht: Die schwarzen Südwestnamibier waren auf ihre Kniescheiben gesunken, und nach einer Sekunde des Schweigens, in welcher der Himmel in seinem Lauf um die Erde innezuhalten schien, sprangen sie jubelnd zurück in die Gegenwart. Der Vertreter der Regierung aus Windhuk, der in blauer Militäruniform mit Goldlitzen erschienene bunte Oberhäuptling der Hereros und das gesamte Volk der Nation klatschten begeistert mit den Füßen in die Hände, Musik wurde herbeigetrommelt, 99 Luftballons stiegen zur Sonne empor, Elefanten wurden gegrillt, und alle Menschen wurden Brüder, auch Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Erst am nächsten Morgen fiel jemandem auf, dass sie nur warme Worte in den Klingelbeutel geworfen hatte, aber keinen müden Euro. Da war die Ministerin schon über alle Sandberge und längst unterwegs, die Welt auch überall sonst besser, schöner und lieber zu machen, ohne viel dafür tun zu müssen. Zwar stiftet sie, die seit sechs Jahren für die Dritte Welt außerhalb der neuen EU-Länder zuständig ist, zum Weltbildungstag der Unesco stets ein paar Bleistiftstummel, die sie bei den Kindern von Bekannten und Verwandten einsammelt, und spendet zum Weltfriedenstag auch eine Wasserpistole für die Friedenserziehung draußen auf dem Planeten. Sie geißelt Überschwemmungen, setzt sich für mehr Frauen in der Dritten Welt ein, wirft auch mal einem Bettler in der Fußgängerzone einen Cent in den Bart, öffnet sogar ihren Spendierrock für Abwasserrohre und Mülleimer in schmuddeligen Igittigittländern – und gönnte sich immerhin einen Staatsflug nach Kuba, wo die rote Heidi im Mai 2000 unverhofft Fidel Castro fragen konnte, ob es eigentlich wirklich graues Henna gebe.

Aber ein nennenswertes Portemonnaie steht ihr seit ihrer Bestuhlung als Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und sparsame Entwicklung nicht zu Gebote, sondern nur eine spitze Moral. „Pro bono – contra malum“ lautet Heidemarie Wieczorek-Zeuls Motto, seit sie lebt. Die geborene Lehrerin und Juso-Bundesvorsitzende der Siebzigerjahre hatte sich bereits am 21. 11. 1942 auf den langen Marsch durch die Institutionen begeben und zunächst, 1965, die bürgerliche Ehe infiltriert, indem sie den SPD-Mann Norbert Wieczorek heiratete; danach, der Zeiger stand just auf 68, erstürmte sie den Rüsselsheimer Stadtrat, eroberte 1972 den Kreistag von Groß-Gerau, besetzte 1979 mit allen vier Buchstaben das Europaparlament zu Straßburg außerhalb Südhessens und drang 1987 sogar in den Bundestag von Bonn vor, wo sie eine rote Hinterbank mit sich belegte.

Obwohl sie bis heute der SPD die Fahne hält, sitzt Heidemarie Wieczorek-Zeuls Programm unverändert links, wo der Kopf ist. Und auch wenn sie vom Parteivorstand (1984) über das Parteipräsidium (1986) bis zum stellvertretenden Parteivorsitz (1993) immer tiefer in die Soße rutschte: Die Tochter eines Frankfurt-Seckbacher Gemüsehändlers droht jedem mit den blanken Fingernägeln, der ihr rotes Gehirn bezweifelt. Auch Schröder ist klar, dass er sie braucht, um den linken Rand der Partei zu halten. Und wer weiß, vielleicht ist ihr langer Marsch noch lange nicht am … äh … öh … egal.

PETER KÖHLER