: EU übernimmt SFOR-Truppen
Ab Mitte 2004 sollen Truppen der Europäischen Union die Nato in Bosnien und Herzegowina ablösen. Kompromiss im Streit mit den USA über den Nato-Einfluss
MÜNCHEN taz ■ Überraschend schnell haben sich die Verteidigungsminister der EU auf einer Tagung in Rom auf die Übernahme der Bosnien-Mission von der Nato im kommenden Jahr geeinigt. Nach den bisherigen Absprachen soll die neue Truppe mit 6.000 Mann lediglich die Hälfte der bisherigen, von der Nato geführten SFOR-Friedenstruppen umfassen. Nach Informationen aus diplomatischen Quellen hat die britische Regierung angeboten, das Kommando über die Truppe zu übernehmen.
Nach Angaben des deutschen Verteidigungsministers Peter Struck ist der Umfang der Truppe noch nicht bestimmt, die Mitte nächsten Jahres das Kommando in Bosnien und Herzegowina übernehmen soll. Weiterhin schlug Frankreich vor, ein europäisches Gendameriekorps zu gründen. In Bosnien ist schon seit Beginn des Jahres 2003 eine EU-Polizeitruppe tätig. Die bis dahin anwesende UN-Polizei dagegen wurde abgezogen.
Die Idee, die bisherigen SFOR-Truppen durch eine EU-Truppe in Bosnien und Herzegowina zu ersetzen, wurde erstmals kurz nach der Amtsübernahme von George W. Bush Anfang 2001 öffentlich. Damals erklärte die neue US-Regierung, sie wolle ihre Truppen aus der Balkan-Region so schnell als möglich abziehen. Doch schon kurze Zeit später revidierte sie ihre Position. Die im Zuge der Balkankriege aufgebaute Präsenz in Südosteuropa sollte, wenn auch verkleinert, weiterhin erhalten bleiben. Die USA unterhalten militärische Stützpunkte in Ungarn, in der ostbosnischen Stadt Tuzla sowie im Kosovo. Die Anlage im Kosovo gehört zu den größten Militärstützpunkten der USA im Ausland überhaupt.
Einerseits unterstützen die USA den Willen der EU, in Südosteuropa militärische Verantwortung zu übernehmen, andererseits jedoch sind sie nicht bereit, das Heft gänzlich aus der Hand zu geben. Schon bei der Implementierung einer EU-Truppe in Mazedonien 2002 drängten sie darauf, das Oberkommando der Truppe im Nato-Hauptquartier Europa-Süd in Neapel zu belassen. Auch bei der jetzigen Diskussion über die EU-Truppe in Bosnien versuchten die US-Diplomaten, der Nato und damit den USA weiterhin ihren Einfluss zu sichern. Die Idee, ein eigenes militärisches EU-Hauptquartier für die Koordination solcher Einsätze aufzubauen, ist auf Druck der USA und Großbritanniens vom Tisch. Lediglich eine bei der Nato angesiedelte Planungsstelle wird es nun geben. Hinter den Kulissen wird jedoch weiterhin über den Einfluss der Nato auf die Gestaltung der EU-Truppe in Bosnien gestritten.
In Bosnien selbst sind die Meinungen über die neue Entwicklung geteilt. Nach den Erfahrungen mit der europäischen Politik während des Krieges 1992–95 sind vor allem die Muslime Bosniens skeptisch gegenüber der Verringerung des amerikanischen Einflusses. In Sarajevo hat man nicht vergessen, dass es die USA und nicht die Europäer waren, die den Krieg 1995 durch ihren militärischen Druck zu beenden halfen. Dagegen erhoffen sich die serbischen und die kroatischen Nationalisten mehr Spielraum für ihre Politik, wenn die Präsenz der USA verringert wird. ERICH RATHFELDER