: Die Macht der Kuhglocke
Rock ’n’ Roll als jüngster Trend: DJ Hell glaubt daran, die Fat Truckers und auch The Rapture, die zusammen im Knaack aufspielten. Das Publikum trug Nierengürtel, Nieten und Totenköpfe und tanzte begeistert zu Disco-Beat und Glockengeläut
von JAN KEDVES
Im Knaack trafen sich am Montagabend prominente Vertreter des irgendwie noch immer als frisch angepriesenen Musiktrends „Dance-Rock“ – wahlweise auch „Electro-Punk“ oder „Pogo-Disco“ genannt: The Rapture, Fat Truckers und DJ Hell. Auch wenn sie vor allem zeigten, wie schwer es heutzutage ist, etwas tatsächlich Neues auf die Beine zu stellen: Das Publikum war trotzdem begeistert.
Als DJ Hell, weltweit bekannt als recht geschmackssicherer Techno-DJ, vor einigen Monaten als Credibility-Feigenblatt bei den von Tom Novy moderierten „MTV Dancefloor Charts“ zu Gast war, antwortete er auf Toms kumpelhafte DJ-Kollegen-Frage, was denn seiner Prognose nach der nächste Trend sei: „Rock ’n’ Roll“. Da rutschte dem sonst stets bestens informierten Novy doch ein schräges „Nee, echt?“ von den Lippen und schnell wurde das nächste Trance-Video eingespielt. Dabei war die Antwort des Münchners noch nicht mal unehrlich: Rock hat tatsächlich Einzug in der Dance-Szene gehalten, und das nicht nur in Form von Gitarren-Riffs, die Faszination geht sogar so weit, dass man angestammte Reviere wie das Cookies oder das WMF verlässt, ranzige Rockschuppen besetzt und sich dazu auch betont „rockig“ kleidet: Das Publikum trug Nietengürtel, Mash-Caps und mit Totenköpfen verzierte Schweißarmbänder.
Voll war es natürlich wegen dem stattlichen Line-up: The Rapture aus New York ließen sich schon auf ihrer letzten Tour durch Großbritannien von den Fat Truckers begleiten, und diese wiederum haben, nachdem ihre ersten Singles von Hell protegiert wurden, auf dessen Label Gigolo Records ein Album herausgebracht. An diesen Verbandelungen lag es wohl auch, dass sich Hell, der sonst nur zur besten Uhrzeit auflegt, im Knaack auch gerne als Warm-up- und Umbaupausen-DJ betätigte.
The Rapture, ursprünglich in San Francisco gegründet und 1999 nach New York umgesiedelt, hat in Berlin zuletzt vor zwei Jahren gespielt und seitdem eine hübsche Karriere hingelegt. Gespannt sein durfte man bei dem Auftritt vor allem darauf, ob und wie die Band die elektronischen Elemente, die in ihrem Sound seit der Arbeit mit DFA zugenommen haben, umsetzen würde – vor einem Jahr sagten sie in einem Interview noch, sie hätten eigentlich keine große Lust darauf, mehr Equipment mitzuschleppen. Das muss ihnen in der Zwischenzeit jemand ausgeredet haben: Auf der Bühne standen plötzlich alte Analog-Synthies, und Schlagzeuger Vito Roccoforte – hinter seinem Set-up ein Mensch gewordener Disco-Beat – wechselte zwischendurch an eine leider etwas flach pumpende Drummachine. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand Luke Jenner, der Sänger, der aufgrund seiner meist in hohen Falsett-Sphären schwebenden Stimme gerne mit Robert Smith oder Johnny Lydon verglichen wird. Auch wenn solche Vergleiche naturgemäß etwas hinken – bemerkenswert war, dass seine Stimme vor dem satten Sound seiner Kollegen und seiner eigenen Gitarre niemals kapitulierte.
Bassist Mattie Safer sorgte derweil für Backing-Vocals, und Gabe Andruzzi, der vierte Mann, hatte die etwas undankbare Aufgabe, disharmonische Saxofon-Soli einzustreuen. Seine Glanzpunkte kamen hingegen immer dann, wenn er zu dem Beat von Roccoforte die Kuhglocke schlagen durfte – genau die Kuhglocke, die auch den bisher größten Erfolg der Band, „House Of Jealous Lovers“, auszeichnet. Das Stück entwickelte sich zu dem Crossover-Hit der letzten Saison, war genauso auf der Love Parade zu hören wie in Indie-Clubs und führte The Rapture nicht zuletzt nach Ibiza, wo sie diesen Sommer als erste Liveband überhaupt bei der sagenumwobenen Manumission-Party auftraten. Mittlerweile müsste es die Band eigentlich leid sein, das Stück überhaupt noch zu spielen – und doch kam es, wie es bei jedem Service-orientierten Konzert kommen muss: der größte Hit als Zugabe. Jenner schrie dabei tatsächlich so schmerzhaft, wie man es von der Platte kennt, und während sich seine Halsschlagader dabei bedrohlich aufblähte, wurde er bereits vom Jubel des Publikums übertönt. Eine weitere Zugabe wollte man danach gar nicht mehr einfordern, man wusste schon: Besser wird es nicht mehr.
Also übernahm wieder DJ Hell und legte zu Putzlicht auf. Er spielte B-52s, „Suicide Commando“, ein Dance-Bootleg von Nirvanas „Come As You Are“ und alten Hip-House. Zwischen diesen Platten – zu denen sich wahlweise „Aciieeed!“ johlen oder Luftgitarre spielen ließ – fiel vor allem eines auf: Sobald ein Disco-Beat losstampfte, stieg die Stimmung bei den Tänzern, sobald dazu noch Kuhglockengeläute einsetzte, wurden die Arme nach oben gerissen. War die gute, alte Kuhglocke also so gesehen der heimliche Star des Abends, untermauerte sie so auch den Eindruck, den man zuvor bereits bei The Rapture gewinnen konnte: Rock ’n’ Roll ist immer das, was man draus macht.