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Archiv-Artikel

Nobelpreis nach einem halben Jahrhundert

Der gebürtige Moskauer Abrikosov erhielt gestern den Physik-Nobelpreis für seine Forschung aus den Fünfzigern

Er war „schon glücklich ohne Nobelpreis“, sagt Alexei Alekseevich Abrikosov. Das war sicher auch besser so, denn der in Moskau geborene Festkörperphysiker war nicht das erste Mal nominiert. Fünfundsiebzig musste er werden, bis das Nobel-Komitee seine Arbeit schließlich gestern adelte. Die Stätte seiner größten Leistungen, die Universität für physikalische Fragen in Moskau, wo er in den Fünfzigern seine bahnbrechende Arbeit über Supraleitung verfasste, hat er längst verlassen. Wie so typisch für viele Physiker, hatte er seine kreativste Zeit in jungen Jahren, lange bevor er 1965 in Moskau Professor wurde. Lange auch bevor ihm die Uni Lausanne 1972 den Ehrendoktor verlieh und bevor er 1991 zum Argonne National Laboratory in die USA ging.

Längst ist Abrikosov jungen Physikern ein Begriff, die sich mit Supraleitung befassen – einem Phänomen, bei dem Stoffe ihren elektrischen Widerstand verlieren. In technischen Begriffen wie „Abrikosov-Suhl-Resonanz“, „Abrikosov-Gitter“ oder „Abrikosov-Phase“ hat er längst seinen Platz in Physikbüchern gefunden. Sein Drittel des Preisgeldes von 1,1 Millionen Euro, dass er sich mit zwei Physikern teilt, wird der inzwischen emeritierte Professor kaum noch angemessen auf neue Forschung verwenden können.

Doch natürlich ist und bleibt der Nobelpreis die höchste Ehre für einen Naturwissenschaftler. Diese Ehre erteilte die Königlich Schwedische Akademie auch dem ebenfalls in Würde gealterten ehemaligen Leiter des Lebedev-Instituts für Physik in Moskau, Vital Ginzburg (87) sowie dem in London geborenen und jetzt an der Universität von Illinois, USA, arbeitenden Physiker Anthony J. Leggett (65). Beide haben ebenfalls zur Erklärungen der Supraleitung beigetragen.

Kühlt man bestimmte Stoffe auf wenige Grade über den absoluten Temperaturnullpunkt von –273 Grad Celsius ab, lassen sie elektrischen Strom ohne Widerstand passieren. Dabei werden zwei Arten von Materialien unterschieden: Bei dem Typ I wird der magnetische Fluss vollständig verdrängt. Technisch viel interessanter ist der Typ II bei dem Supraleitung und Magnetismus einträchtig nebeneinander exisitieren. Es war Abrikosov, der dieses Phänomen aufklärte, aufbauend auf den Arbeiten Ginzburgs.

Das Nobelkomitee, das nicht zum ersten Mal recht verspätet auszeichnet, erklärte zu Abrikosovs Arbeit, dass sie „neue Aktualität durch die schnelle Entwicklung von Materialen mit ganz neuen Eigenschaften erhalten“ habe.

Tatsächlich arbeitet auch Abrikosov selbst heute im Bereich der so genannten Hochtemperatur-Supraleiter. Das sind Materialien, die von Physikern so designt wurden, dass sie auch bei über –200 Grad noch verlustfrei Strom leiten können und zudem nicht so empfindlich auf äußere Magnetfelder reagieren. Auch wenn das Kühlen auf solche Temperaturen nur mit flüssigem Stickstoff möglich und deshalb teuer ist, gibt es schon wichtige Anwendungen: Beispielsweise in Magnetkameras in der Medizin oder auch in Teilchenbeschleunigen, wo irrsinnige Mengen Strom eingesetzt werden müssen.

Abrikosovs späte Ehrung hätte übrigens auch Alfred Nobel nicht gefallen: Der Preisstifter hatte seinerzeit testamentarisch verkündet, dass Forscher für ihre Arbeiten im „verflossenen Jahr“ ausgezeichnet werden sollen.

WOLFGANG LÖHR