Migrantenkultur gilt endlich als Stärke

Eine Studie der OECD zeigt der Stadt Perspektiven auf, MigrantInnen als wichtiges Potenzial zu begreifen. Die Autoren machen auch Vorschläge für Problembezirke wie Neukölln. Als „Leuchtturm“ könnte ein türkischer Basar den Kiez attraktiv machen

VON STEFAN KLOTZ

Man könnte das Bild von der Medaille bemühen: „Geht es um Zuwanderung und Integration, dann blickt die Öffentlichkeit immer nur auf die Probleme. Das muss sich ändern“, befand Günter Piening, Migrationsbeauftragter des Senats. Er drehte auf dem gestrigen Integrationstag die Migrations-Medaille gewissermaßen um und verwies auf Chancen, die der Zuzug aus anderen Kulturen der Hauptstadt bringt. Pienings Optimismus wird durch eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) gestützt.

Die Organisation hat in Berlin drei Bezirke unter die Lupe genommen, die sonst meist nur als problematisch gelten: Neukölln, Wedding und Hohenschönhausen (siehe Kasten). „Diese Stadtteile haben ein großes Potenzial. Nicht trotz, sondern wegen dieser Bevölkerungsstruktur mit hohem Migrantenanteil“, sagt Piening. Die Studie stellt Überlegungen an, dieses Potenzial gezielt auszunutzen. Dabei hatte die OECD-Kommission den Vorteil, sich nicht mit finanziellen Machbarkeitsüberlegungen abplagen zu müssen – obwohl sie auch auf die desolate Haushaltslage der Stadt hinweist.

Dies zugrunde gelegt, bietet das Papier Gehaltvolles. Ähnlich wie die „Dohnanyi-Kommission“ für den Aufbau Ost, empfiehlt die OECD zum Beispiel eine gezielte Förderung von „Leuchtturmprojekten“. Diese sollen Werbung für die gebeutelten Bezirke machen und Investoren, aber auch Besucher aus anderen Bezirken locken. Die Studie schlägt etwa vor, in Wedding oder Neukölln regelmäßig einen türkischen Basar einzurichten. Einerseits könne der das Kiezimage aufpolieren, andererseits die Lebensqualität der Bewohner steigern. Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit wäre das „Suppenfest“ vor einer Woche im Wrangelkiez.

Außerdem sollten die Stadtteile ein individuelles Gesicht haben, dessen Züge durch die Kultur ihrer Einwohner bestimmt wird, so die Autoren. Die OECD regt ein Museum für arabische Kultur an oder die Einrichtung spezialisierter Studienzentren. „Es muss eine Gleichwertigkeit zwischen politischer Hochkultur wie Opern und Museen und der in die Quartiere eingebetteten Kultur geben“, forderte Edith Brickwell der Investitionsbank Berlin (IBB). Die IBB hat die Studie in Auftrag gegeben.

Eine weitere OECD-Idee: Der Austausch unter den Jugendlichen verschiedener Kieze müsse gestärkt werden. Der finde nur kaum statt, so die Analyse, weil die Kids, ihr Wohngebiet nur selten verlassen. Dafür sieht die Kommission Schulprogramme vor. Ebenso könnte die Stundenzahl an Schulen mit niedrigerem Sprachniveau angehoben werden. Außerhalb der Schule fordert die Studie weitere Deutschkurse für Migranten und ihre Familien, besonders für Kleinkinder zusammen mit der Mutter.

Ein Schlüssel dafür ist das Arbeiten vor Ort wie es das Quartiersmanagement (QM) mit 17 Stützpunkten in der Stadt bereits seit 1999 praktiziert. Das Team aus Freiwilligen des jeweiligen Kiezes soll Adresse für die speziellen Probleme und Wünsche der Anwohner sein. So könnten in QM-Zentren in einem Gebiet mit vielen Vietnamesen entsprechende Deutschkurse von einem vietnamesisch sprechendem Lehrer abgehalten werden. Außerdem sollen die QMs die Aktivitäten einzelner Migrantenvereine untereinander besser koordinieren.

Abschließend versucht die Studie, Berlin den Blick fürs Umland zu öffnen: Die OECD sieht eine Zukunft der Stadt als echtes Tor nach Osteuropa. Entscheidend sei deshalb auch die Partnerschaft mit Brandenburg, um dessen Brachen industriell zu besiedeln. Für diesen Zweck fordert das Papier zwar einen Informationsaustausch durch ein zentrales Wirtschaftsforum mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Migranten. Doch sonst lautet die Botschaft der OECD: Am meisten nutzt eine dezentralisierte Herangehensweise.