: Lammert liest Wahlkämpfern die Leviten
Norbert Lammert, Chef der Ruhrgebiets-CDU sieht Gelsenkirchens Oberbürgermeister Oliver Wittke weiterhin auf einem fundamentalistischen Kreuzzug und motzt ausdauernd gegen Taktiker in den eigenen Reihen
RUHR taz ■ Manchmal wäre es besser, Politik könnte ganz auf Wahlkämpfe verzichten. Norbert Lammert, der CDU-Vorsitzende des Ruhrbezirks scheint sich in Wahlkampfzeiten offenbar weniger wohl zu fühlen als im Hintergrundgespräch mit Journalisten. Beim Pressefrühstück in Bochum zeigt er jedenfalls wenig Verständnis für wahltaktisches Verhalten seiner Parteifreunde.
Dass die letzten Meinungsumfragen des Westdeutschen Rundfunks für die CDU Verluste in den Großstädten prognostizieren – in Essen sollen das gar neun Prozent weniger sein als 1999 – verblüfft den Unionspolitiker. Ist das eine Antwort auf hausgemachte Probleme der CDU? „Natürlich“, sagte der Ruhrpolitiker darauf. Gelsenkirchens CDU-Oberbürgermeister Oliver Wittke warf er dann ein „wenig erwachsenes Politikverständnis“ vor. Und Unionspolitikern, die wie Landeschef Jürgen Rüttgers Hartz-IV in Frage stellten, obschon sie das Gesetzespaket mitgetragen hätten, wüssten offenbar nicht, was sie beschlossen haben.
Einmal in Fahrt verteidigte der Bundestags-Vizepräsident auch die umstrittene Rede des neuen Bundespräsidenten: Treffend habe Horst Köhler die ungleichen Lebensverhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland als Dauerzustand beschrieben: „Eine Angleichung des Ostens an den Westen ist nur mit dem Einsatz von immensen Subventionen herzustellen“, meint Lammert.
Aus wahltaktischen Erwägungen habe er zwar Verständnis dafür, dass jetzt auch ostdeutsche Christdemokraten gegen Köhler schießen. Doch Taktik dürfe nicht Sachverhalte ersetzen, so Lammert: „Ich bin damit mein Leben lang gut zu Rande gekommen – ich werde das für meine letzten Jahre nicht ändern!“ Ein Seitenhieb gegen die eigene Landespartei.
Ohne den CDU-Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers namentlich zu erwähnen, kritisiert Lammert Politiker, die jetzt den Eindruck verbreiteten, „die Truppen wüssten nicht, was sie beschlossen haben.“ Die Reform der Arbeitslosenversicherung sei ein Thema, das zeitlich weit über die Amtszeit der rot-grünen Bundesregierung weise: „Wir diskutieren das Thema doch schon seit zehn Jahren!“
In Sachen Ruhrgebiet und Regionalverband erneuert Lammert seine Kritik an Gelsenkirchens Oberbürgermeister Oliver Wittke. Es mache keinen Sinn gegen den neuen Regionalverband Ruhr (RVR) in den „Kreuzzug“ zu ziehen: „Wir haben das Gesetz zwar abgelehnt“, so Lammert, dennoch habe er mit Rot-Grün an Nachbesserungen gearbeitet, „damit der neue Verband ans Laufen kommt.“ Der Urtext des Gesetzes hätte Kommunen erlaubt, mit einfacher Mehrheit aus dem RVR austreten zu können. Das wäre ein „Verhängnis“ geworden – Gemeinden hätten aufgrund zufälliger Mehrheiten ausscheiden können. Jetzt habe man das wenigstens mit einer notwendigen Zweidrittel-Mehrheit verhindert. „Wenn ich mit Rot-Grün wesentliche Verbesserungen durchsetzen kann, dann tue ich das!“, sagte Lammert.
Das ändere aber nichts an seiner prinzipiellen Haltung: „Ich kenne keine andere öffentlich-rechtliche Einrichtung aus der die Mitglieder austreten können!“ Wenn man damit anfange, würde schließlich auch der Kreis Höxter beschließen, zu Niedersachsen gehören zu wollen.
Ganz ohne Wahlkampf ging es auch bei Lammert nicht aus: Die Ruhr-CDU sei seines Wissens die einzige Partei, die vor den Kommunalwahlen eine Liste für die Verbandsversammlung des RVR aufgestellt hat: „Die anderen Parteien wollen das Wahlergebnis abwarten – ich finde das schade!
CHRISTOPH SCHURIAN