mein islam : Naile Tanis: „Muslima sein ist eine kulturelle Sache“
Naile Tanis ist 31 Jahre alt und Rechtsanwältin für Strafrecht und Familienrecht. Ihre Eltern stammen aus der Türkei, sie selbst ist in Nordenham an der Wesermündung geboren und zusammen mit ihren beiden Schwestern aufgewachsen. Mit der taz traf sie sich in ihrer Dachgeschosswohnung im Wedding.
„Der Islam ist für mich eine weltoffene Religion, die alle anderen Religionen mit einschließt. Das zentrale Thema ist doch die Existenz eines einzigen, gütigen Gottes, wie im Christentum und Judentum auch. Der Koran nimmt Geschichten aus dem Alten Testament auf, die Religionen haben die gleiche Basis und sind sich ähnlicher als viele glauben.
In meiner Familie wurde der Islam nie besonders streng ausgelebt, meine Eltern gingen sehr offen mit dem Islam und mit den anderen Weltreligionen um und haben uns in diesem Sinne erzogen. Mein Vater hat uns Geschwistern einige Gebete beigebracht und mit uns viel über den Islam diskutiert. Trotzdem gehe ich nach wie vor nicht in die Moschee oder lese im Koran.
An muslimischen Feiertagen fahre ich nach Hause, dann gibt es ein Familienfest, so wie die meisten Christen eben Weihnachten feiern. Muslima zu sein ist für mich eher eine kulturelle Sache: Man wird als Muslim geboren und bleibt es dann eben auch sein Leben lang, unabhängig davon, ob man nach dem Koran lebt oder nicht. Klar gibt es in Berlin eine größer werdende Gruppe von Muslimen, die sich immer mehr zurückziehen und ihren Glauben sehr viel strenger und auch offensiver leben.
Mit der muslimischen Gemeinde habe ich kaum etwas zu tun, der Islam ist für mich Privatsache und fußt viel mehr auf privaten Erlebnissen. Wenn ich zum Beispiel meine Oma am Grab meines Großvaters Koransuren sprechen höre, dann bewegt und beeindruckt mich das mehr als ein Moscheebesuch. Das sind die Augenblicke, in denen ich am ehesten so etwas wie eine Zugehörigkeit zum Islam spüre.“
Protokoll: ALENA SCHRÖDER