piwik no script img

Insellösung gegen Weißbierpower

Das Theater nach dem 0:0 im Hinspiel motiviert die Isländer zusätzlich, dem deutschen Fußball-Nationalteam auf dem Weg zur EM 2004 heute in Hamburg ein Bein zu stellen. Geschickt kultivieren die Insulaner aus dem Norden ihre Außenseiterrolle

Wir waren sauer, weil mit keinem einzigen Wort unsere Leistung gewürdigt wurde

aus HamburgOKE GÖTTLICH

Die Feuilletons haben sich wieder beruhigt. Gut einen Monat nach Rudi Völlers Gefühlsausbruch im Anschluss an das Hinspiel der EM-Qualifikation in Island sind Inhaltsanalysen seiner Kritik an einseitiger Berichterstattung passé. Geändert hat sich im Umgang mit den vermeintlichen (Fußball)-Underdogs Europas auch vor dem Rückspiel des deutschen Nationalteams (Anpfiff: 17 Uhr, Hamburger Volksparkstadion) gegen Island nichts. Das Wesentliche an Völlers Kritik hat sich im Zuge der Empörung wieder aus weißbiergeschwängerten Redaktionsstuben geschlichen. Kaum ein Bericht widmet sich vor dem Rückspiel der Stärke des Gegners. Es wird davon ausgegangen, mit einem Erfolg die Teilnahme an der EM-Endrunde zu sichern. Alles andere, wird suggeriert, wäre mal wieder eine Blamage.

Dem isländischen Team kommt derlei Hochmut gelegen. Vielmehr kultivieren sie ihr Underdog-Image. Mit dem totenkopfverzierten Bus des drittklassigen Lokalvereins FC St. Pauli ließen sich die Spieler zum Hotel Treudelberg bringen.

Inzwischen hat sich im gesamten isländischen Kader die großkotzige Reaktion der Deutschen nach dem 0:0 in Reykjavik herumgesprochen. Der für Bochum spielenden Thordur Gudjonsson zeigt Verständnis für den Ärger des deutschen Teamchefs: „Auch wir waren sauer, weil mit keinem einzigen Wort unsere Leistung gewürdigt wurde.“ Immerhin ist Island mit seinem Trainer Asgeir Sigurvinsson bislang ungeschlagen und zeigt, dass Insellösungen erfolgreich sein können. „Die einseitige Berichterstattung und öffentlichen Kommentare in Deutschland helfen uns mit Sicherheit, besonders motiviert zu sein.“

Dass sie im Hinspiel geschickt die Räume verengt haben und gute Kontermöglichkeiten herausgespielt hätten, sei unterbewertet geblieben, so Gudjonsson. Auch heute soll diese Taktik dazu führen, den torgefährlichen Stürmer Eidur Smari Gudjohnsen vor dem deutschen Gehäuse zu finden. Probleme bereiten Trainer Sigurvinsson hingegen die Ausfälle vieler Stammspieler und die mangelnde Spielpraxis seiner Stars, die bei größeren europäischen Vereinen häufig nur auf der Auswechselbank sitzen.

Historisch betrachtet spricht aber vieles gegen Island. Seit 1927 hat Deutschland alle im Oktober ausgetragenen Länderspiele in Hamburg gewonnen. Eine Hoffnung bleibt den Isländern. Das letzte EM-Qualifikationsspiel in Hamburg verlor Deutschland 1983 mit 0:1 gegen Nordirland.

Weiteren Rat sollten sich Sigurvinssons Team von Jürgen Sparwasser holen. Der Torschütze zum 1:0 für die DDR gegen die BRD beim WM-Turnier 1974 weiß, wie in Hamburg wirklich wichtige Tore zu erzielen sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen