: „Das ist ein tief gehendes Schiff“
Bremen möchte Europas Kulturhauptstadt 2010 werden und damit den Strukturwandel schaffen. Abgabetermin für die Bewerbung ist Ende Juni 2004, ein Bewerbungs-Vorkonzept aber gibt es seit Anfang letzter Woche. Die Debatte ist eröffnet
Bremen taz ■ Vergangenen Dienstag präsentierte Martin Heller, der künstlerische Leiter der Projektgruppe Kulturhauptstadt, ein Vorkonzept für die Bremer Bewerbung für den Titel „Kulturhauptstadt 2010“ (taz vom 8.10.). In dem Papier schildert der Schweizer Kulturmanager mit einem „Blick von außen“ die Bremer Besonderheiten und beschreibt im Kapitel „Realitäten“ 27 Kulturinstitutionen und Aktionsfelder. Die taz sprach mit Carmen Emigholz, der kulturpolitischen Sprecherin der SPD und Sprecherin der Kulturdeputation, über dieses Vorkonzept namens „Baustelle Bewerbung.“ Eine Dokumentation des Textes findet sich auf Seite 28.
taz: Frau Emigholz, welchen Eindruck haben Sie von dem Konzept?
Carmen Emigholz: Es ist eine Baustelle, wie es Martin Heller gesagt hat. Man muss das Konzept in zwei Teile unterteilen. Nämlich einmal die Bestandsaufnahme der bremischen Strukturen und Besonderheiten – die finde ich zum Teil sehr intelligent. Der zweite Teil ist eine Baustelle, die sich im offenen Arbeitsprozess befindet.
Auf den Blick von außen sind wir immer noch neugierig.
Ich auch.
Lässt sich auf dieser Baustelle schon erkennen, welcher Art das Gebäude ist, das da einmal entstehen soll?
Nein. Dafür wäre eine Sichtung aller Sparten nötig gewesen und eine kurze Nennung der Schwerpunkte. Aber es gibt einige Dinge, die bemerkenswert sind. Das Konzept geht von der Grundüberlegung aus, die derzeit stadtweit angestellt wird, dass man im City-Bereich viele attraktive Angebote bündelt und tendenziell aus der Peripherie rausgeht. Das ist ein tief gehendes Schiff, über das wir intensiv reden müssen. Auch, dass Bremen als Musikstadt benannt wird, und dass das Musikfest ein Fixpunkt zu sein scheint, finde ich bemerkenswert, weil wir mit der Kammerphilharmonie und den Bremer Philharmoniker eigentlich zwei stadteigene profilbildende Orchester haben.
... die vom Musikfest eher ausgegrenzt werden ...
So ist es.
Was fehlt sonst bei der Aufstellung der Highlights?
Zum Beispiel die Sparten Musik, Tanz und Theater, und dabei sowohl die freie Szene als auch der Projektbereich wie zum Beispiel eine Produktion wie „Die letzten Tage der Menschheit“ des Bremer Theaters, die ich als bundesweit durchaus bemerkenswertes Projekt empfunden habe.
Dazu kommt, dass zur Stadtteilkultur wenig gesagt worden ist – mir würde da einiges einfallen. Immerhin hat Bremen im Verhältnis zu anderen Städten ein sehr umfangreiches und qualifiziertes Angebot.
Ich würde auch gerne wissen, was Heller über die Weserburg denkt, die es schafft, Ausstellungen auch in andere Städte zu exportieren und über ein herausragendes Archiv verfügt.
Und ich würde ingesamt gerne wissen, ob Herr Heller sich von den lange von der Deputation erarbeiteten Schwerpunktsetzungen „Museen“ und „freie Szene“ als Kernprofilmerkmale der Stadt etwas verspricht und ob er diese richtig findet oder nicht.
Wie bewerten Sie, dass Heller zum jetzigen Zeitpunkt mit einem Vorkonzept aufwartet?
Das hat sicher strategische Gründe, die ich schlecht bewerten kann, denn ich bin keine Marketingexpertin. Vielleicht hätte man besser noch sechs Wochen gewartet und dann eine vollständigere Sicht des Spektrums vorgelegt, die schon aufzeigt, welche Gewichtung angedacht ist. Damit man eine echte Diskussionsgrundlage für eine konstruktive Debatte in der Stadt bekommt.
Was bei dem vorläufigen Konzept herausstößt, ist die Forderung nach einem Anbau an die Kunsthalle. Ein neuer Gedanke?
Der Gedanke ist nicht neu und ich würde gerne den Anbau der Kunsthalle nicht ausschließlich mit der Kulturhauptstadt-Initiative verkoppelt wissen. Die Kunsthalle ist stetig gewachsen – da kann ein Ausbauvorhaben sehr vernünftig sein. Nur gehört das für mich schlicht zur Verstetigung des Grundbetriebes.
Welche Möglichkeiten der Einflussnahme hat die Kulturdeputation bei Hellers nächsten Arbeitsschritten?
Die Kulturdeputation kann diese nur erörtern, und Herr Heller muss entscheiden, ob er Anregungen übernimmt. Ich finde, man sollte seiner Einschätzung erstmal Raum geben. Interessant bleibt, ob es gelingt, durch konstruktiven Dialog gemeinsame Förderschwerpunkte festzulegen. Es würde viel Sinn machen, Synergieeffekte etwa beim Einsatz der Wettmittel zu nutzen. Interview: K. Wolschner / K. Irler