Muslimin und Demokratin

Preiskomitee und Preisträgerin weisen darauf hin, dass es keinen Gegensatz zwischen Islam und Menschenrechten gibt

von BAHMAN NIRUMAND

Als das Nobelpreiskomitee in Oslo gestern um 11 Uhr seine Entscheidung bekannt gab, den diesjährigen Friedensnobelpreis an die Iranerin Schirin Ebadi zu vergeben, war das weltweit eine Überraschung. Doch in ihrer Heimat ist die Frauenrechlerin landesweit bekannt. Denn die 56-jährige Juristin und Mutter zweier Kinder war zu Schah-Zeiten die erste Richterin des Landes und wurde sogar zur Vorsitzenden des iranischen Juristenverbands gewählt. 1979 jedoch, nach der Islamischen Revolution, musste sie ihren Beruf aufgeben, weil nach islamischem Recht Frauen nicht richten dürfen. So wurde sie Anwältin.

In ihrer ersten Reaktion auf die auch für sie überraschende Entscheidung des Nobelkomitees sagte Ebadi: Ich bin Muslimin, man kann also Muslimin sein und die Demokratie unterstützen.“ Die Entscheidung sei für die Menscherechte in Iran, vor allem für Kinder und Frauen von großer Bedeutung. „Ich hoffe, dass ich nützlich sein kann“, fügte sie hinzu.

Tatsächlich hat sich Schirin Ebadi für Menschenrechte, insbesondere für Frauenrechte und die Rechte der Kinder, stark engagiert. In einer ganzen Reihe von Büchern und zahlreichen Artikeln hat sie die Situation der Frauen und ihre stark eingeschränkten Rechte in Familie und Gesellschaft untersucht. Sie versucht, dafür zu werben, dass nicht nur Frauen, sondern eben auch Kinder klar definierte Rechte haben, die vom Islam, dem Staat und auch der Gesellschaft insgesamt akzeptiert werden müssen. Zu diesem Zweck gründete Schirin Ebadi gemeinsam mit Freunden ein Kinderhilfswerk.

Ebadis Aussage, dass sie eine Muslimin sei, ist keineswegs aus taktischen Gründen erfolgt. Sie war stets bemüht, demokratische Grundsätze und die international anerkannten Menschenrechte in den Islam hineinzutragen. Genau aus diesem Grund hat sie auch die Reformbewegung mit großem Engagement unterstützt. 1997 beteiligte sie sich an der Bürgerkampagne, die zum Sieg Präsident Chatamis führte. Islamisten werfen ihr vor, die islamische Gesellschaftsordnung untergraben zu wollen. Doch sie selbst hat des Öfteren argumentiert, dass der Weg zur Demokratie nicht am Islam vorbeigehen kann und demokratische Ziele nur über eine gründliche Auseinandersetzung mit der Religion und deren Rechtsauffassung erreicht werden können. Auch das Nobelkomitee würdigte diese Auffassung und betonte, dass Ebadi „keinen Gegensatz zwischen dem Islam und fundamentalen Menschenrechten“ sieht.

Schirin Ebadi hat bei ihrem Einsatz für Menschenrechte viel Mut bewiesen. Nicht selten musste sie dafür Gefängnisstrafen, Hausarrest und andere Repressalien in Kauf nehmen. Berühmt wurde sie, als sie sich Ende 1998 für die Aufklärung einer Mordserie engagierte. Damals waren innerhalb weniger Wochen mehrere Dissidenten wie das Ehepaar Foruhar und die Schriftsteller Mohammed Mochtari und Djafar Pujandeh sowie der Verleger und Journalist Amir Zalzadeh umgebracht worden. „Während des ganzen Prozesses hat sie sich ungeachtet aller Repressalien mit bewundernswerter Hartnäckigkeit um die Aufklärung des Falls bemüht“, sagte die in Frankfurt lebende Tochter des ermordeten Ehepaars, Parastou Forouhar. Ihr Kollege Nasser Zarafschan, der mit Ebadi die Verteidigung der Opfer übernommen hatte, wurde vor etwa einem Jahr verhaftet und sitzt seitdem in Haft. Ebadi übernahm auch seine Verteidigung.

Im Jahr 2000 kam sie wegen der so genannten Videoaffäre in Haft. In der Videoaufnahme hatten Islamisten die Juristin über ihre Kontakte zu den ranghöchsten Führern Irans informiert und gestanden, Aufträge zum Mord an Dissidenten erhalten zu haben. Die von den Konservativen besetzte Justiz warf Ebadi vor, die Aufzeichnung manipuliert zu haben. Sie wurde mit 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung bestraft.

Der Schlüssel zum Erfolg Ebadis liegt darin, dass sie nie radikal aufgetreten und nie ideologisch argumentiert hat. Auch in der Würdigung des Nobelkomitees wird Ebadi bestätigt, dass sie „in einer Zeit der Gewalt stets die Gewaltfreiheit unterstützt“ hat. Dank ihrer fundierten Sachkenntnis des islamischen Rechts konnte sie, ohne provozierenden Forderungen aufzustellen, gegen Fundamentalisten und deren konservative Auffassungen zu Felde ziehen. Im Grunde versteht es Ebadi, eine Brücke zwischen dem islamischen Lager und den Laizisten zu bauen. Ihrer Auffassung nach ist die Religion eine Angelegenheit der Individuen und nicht die des Staates. Als sie vor drei Jahren eine Auszeichnung im norwegischen Bergen entgegennahm, sagte sie: „Am wichtigsten ist nicht, welche Religion, Sprache oder Kultur man hat, sondern dass man an die Menschenrechte glaubt.“

Die Preisverleihung wird sicherlich nicht ohne Wirkung auf den Demokratisierungsprozess in Iran bleiben. Ohne Zweifel werden viele Menschen im Land durch diese Würdigung, die weltweit registriert wird, dazu ermuntert, ihren Kampf für eine zivile und demokratische Gesellschaft fortzusetzen. Der Preis wird vermutlich auch der seit Monaten ins Stocken geratenen Reformbewegung unter Präsident Chatami neuen Aufschwung geben.

Während der Papst und Václav Havel der Preiträgerin bereits gratuliert haben, lagen auch Stunden nach dem Bekanntwerden der Entscheidung noch keine offiziellen Stellungnahmen aus dem Iran vor. Die staatlichen Medien berichteten nur zögernd über die Preisverleihung. Doch lange wird man nicht schweigen können. Der Preis wird Schirin Ebadi künftig vor Repressalien schützen und ihr die Möglichkeit bieten, sich noch selbstbewusster und entschiedener als bisher für Menschenrechte, Frauenrechte und die Rechte der Kinder einzusetzen.