Erste Anklage gegen Polizeioffizier

Die Staatsanwaltschaft tut sich trotz der ersten Anklage von Amts wegen schwer, Prügelpolizisten wegen Übergriffen auf Bambule-Demos zu überführen. 89 Strafanzeigen wegen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung sind anhängig

von KAI VON APPEN

Wenn die Opfer normale Demonstranten gewesen wären, wäre es wohl kaum gelungen, die Prügel-Polizisten zu identifizieren. Mit dieser Einschätzung traf Amtsrichter Thomas Semprich im Juli in seiner Urteilsbegründung gegen drei verurteilte Polizisten aus Thüringen wohl den Nagel auf den Kopf. Sie hatten bei einer Bambule-Demo am 16. November 2002 zwei Schleswig-Holsteiner Zivilkollegen verprügelt und arbeitsunfähig gedroschen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft versucht diese These zumindest in einem Fall zu widerlegen. „Wir haben gegen einen Zugführer Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben“, erklärt Staatsanwaltschaftssprecher Rüdiger Bagger der taz. „Wir haben nur das Problem: Wir haben kein Opfer.“

Der inkriminierte Vorfall ereignete sich auf der Bambule-Demo nach einem St. Pauli-Spiel in der Nacht vom 18. auf den 19. November 2002. Ein Teil der Polizeikräfte hatte die zunächst genehmigte Spontandemo wegen Konfusion in der Polizeiführung in das nördliche St. Pauli Quartier gelotst, dann aber über Funk den Einsatzbefehl bekommen, die Demo aufzulösen. Mehrere Einheiten rückten vor, es kam zu einem großen Tohuwabohu. Menschen wurden von Einsatzzügen und Greiftrupps gejagt und wahllos attackiert.

In dem Chaos gelang es einem ARD-Tagesthemen-Team medial festzuhalten, wie ein Unbeteiligter – wie viele andere mehr – von einem Beamten des Festnahmezuges in der Clemens-Schulz Straße/Hein-Hoyer-Straße mit seinem „Tonfa“ – in Fachkreisen auch „Knochenbrecher“ genannt – geschlagen wurde. Als die Bilder tags darauf gesendet wurden, leitete die Staatsanwaltschaft von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren ein. „Der Einsatz des Mehrzweckkampfstocks Tonfa war nicht notwendig und nicht gerechtfertigt“, sagt Bagger. Doch bislang konnte selbst durch Zeugen-Aufrufe das Opfer nicht ausfindig gemacht werden, so dass die Staatsanwaltschaft zur Beweisführung nur auf den Tagesthemen-Beitrag und Augenzeugen zurückgreifen kann.

Ansonsten trifft die These von Richter Semprich zu. „Wir haben viele Anzeigen gegen Unbekannt, aber keine Beschuldigten“, gesteht Bagger ein. 89 Strafanzeigen wegen Körperverletzung in Amt, Nötigung und Freiheitsberaubung aufgrund der Polizeikessel hat es laut Bagger gegen PolizistInnen und den damaligen Innensenator Ronald Schill als Dienstoberhaupt in dem „Komplex Bambule“ im vorigen Winter gegeben. Mutmaßliche Täter aus Kreisen der Polizei konnten allerdings noch nicht ermittelt werden. Offiziell dauern die meisten Ermittlungen durch Vernehmungen des Dezernats Interne Ermittlungen (DIE) noch an. Bagger: „Wir haben gerade im September eine Anzeigende sieben Stunden lang bei uns in der Staatsanwaltschaft zeugenschaftlich vernommen.“

Nach Informationen der taz hamburg gestalten sich die Ermittlungen aber deshalb problematisch, da die Opfer oder Zeugen meist die Schläger wegen der martialischen Uniformierung und Vermummung nicht identifizieren konnten oder beteiligte Polizisten nach Korpsgeist-Manier mauern und ihre Kollegen durch Aussagen schützen.

Opfer-Vertreterin Barbara Poggenborg moniert dennoch, dass die Ermittlungen schleppend verlaufen und dass die Polizei dadurch Beweismittel wie Videos vernichten konnte. Denn was sich im vorigen Winter abgespielt habe, sei eine Aushöhlung des Rechtsstaates gewesen, so Poggenborg. „Es hat keinen Polizeiskandal wegen der Thüringer gegeben, sondern der Polizeiskandal hat in Hamburg stattgefunden.“ So sei das Demonstrationsrecht durch Schill faktisch Monate durch rechtswidrige Einkesselungen außer Kraft gesetzt worden, sagt die Juristin. „Das war ein struktureller Rückfall in die 80er Jahre.“

Ein auffallendes Phänomen sei gewesen, dass die PolizistInnen gezielt gegen couragierte Leute am Rande der Demos und “insbesondere gegen Frauen“ vorgegangen seien. So sei eine Frau in der Schanzenstraße, als sie ein Restaurant verließ, zusammengeprügelt worden, da sie ihren Unmut über den Polizeieinsatz zum Ausdruck brachte. Poggenborg: „Das war erkennbar am gestylten Outfit und ihren Stöckelschuhen keine Bambule-Demonstrantin. Sie war nur sauer über die Polizei.“