„Die kommen nur mit Buschzulage“

Die Agenturen brauchen wegen der Arbeitsmarktreform mehr Mitarbeiter. In Neukölln beschert das einem stillgelegten Arbeitsamt eine Zukunft: Bereits 1932 erbaut, soll in den muffigen Bau plötzlich wieder Leben einkehren

Drei-, viermal muss der Hausmeister probieren. Endlich dreht sich der Schlüssel im Schloss. Leise ächzend öffnet sich die Tür zu Deutschlands ältestem Arbeitsamt. Ein muffiger Geruch schlägt dem Besucher aus den 150 Meter langen Fluren entgegen. Das riesige Backsteingebäude an der Sonnen- Ecke Grenzallee steht seit drei Jahren leer. Nur die ausgeblichenen Gardinen sind hängen geblieben, als Sachbearbeiter, Möbel und Akten im Juni 2001 in den Neubau auf der anderen Straßenseite zogen. Jetzt soll die Reise zurückgehen in die Vergangenheit. Zumindest für einige der Angestellten. Hartz IV macht’s möglich.

Dass es 72 Jahre auf dem Buckel hat, sieht man dem von Architekt Leo Lottermoser entworfenen, am 1. März 1932 eröffneten Gebäude im Inneren nicht an. Konzipiert für die Massenabfertigung im Zeichen der Weltwirtschaftskrise, die bei der Eröffnung mit sechs Millionen Arbeitslosen in Deutschland ihren Höchststand erreichte, hat es seinerzeit sogar im Keller Abfertigungsschalter gegeben. Historische Fotos zeigen mehrere hundert Meter lange Menschenschlangen, die in Dreierreihen vor dem Gebäude anstehen.

Nach dem Krieg war das von Bomben schwer beschädigte Haus wieder eröffnet worden. Seither ist es mehrfach umgebaut worden und hat eine dritte Etage erhalten. Bis zur Wende war das Arbeitsamt für Holz verarbeitende sowie Bau- und Verkehrsberufe zuständig.

Raummangel und marode Fassaden waren die Gründe, die vor drei Jahren zur Stilllegung geführt hatten. „Starker Regen fließt hier sozusagen direkt durch“, Heizung und Sanitäranlagen seien in erbärmlichem Zustand, war seinerzeit der Direktor von Zeitungen zitiert worden. Ein Neubau sei billiger als die Sanierung des alten Hauses.

Die neue, lichte Dependance unterscheidet sich nicht nur optisch von dem düster wirkenden Vorgänger auf der anderen Straßenseite. Auch was das Arbeitsverständnis angeht, markierte der Umzug einen Neuanfang. Sachbearbeiter heißen Kundenberater, statt rauchgeschwängerter Wartesäle Empfangsbereiche und Infocounter.

„In den letzten Jahren ist viel für die Kundenfreundlichkeit getan worden“, sagt der Leiter der Agentur Süd, Konrad Tack. Bei aller Kundenorientierung dürfe aber nicht vergessen werden, dass die Aufgabe der Angestellten eine „ordnungspolitische“ sei, „die nicht sehr angenehm ist“. Auch wenn man einem Kunden freundlich sage, dass Mittel gekürzt oder gestrichen werden, „die Entscheidung bleibt“.

Das alte Haus lasse sich mit wenig Aufwand reaktivieren, meint der Agenturleiter. Ein Rundgang gibt ihm Recht. Sogar die alten Kabel für die Vernetzung der Computeranlage sind noch da. Noch steht nicht fest, welche „Organisationseinheiten“ der Agentur vom Umzug betroffen sein werden. Demzufolge gibt es vom Personal auch noch keine Proteste.

Das letzte Wort in der Reaktivierungsfrage hat ohnehin die Bundesagentur für Arbeit, die zurzeit noch eine Wirtschaftslichkeitsberechnung vornimmt. Fakt ist aber: Der Raum- und Personalbedarf im Zuge von Hartz IV macht eine Auslagerung von Bereichen aus dem Neubau erforderlich. Allein der Bereich Süd wird um 600 Kundenbetreuer verstärkt, die aus dem Bundes- und Landesstellenpool rekrutiert werden sollen. Mit Blick auf das hohe Unkraut vor dem alten Arbeitsamt und den Standort im tiefsten Neukölln wird am Kiosk draußen auf der Straße bereits geunkt: „Die kommen nur mit Buschzulage.“ Mit Hartz IV, ist sich der Agenturleiter sicher, hätten die Angriffe nichts zu tun. PLUTONIA PLARRE