: Bitte wahren Sie Diskretion
Durch Hartz IV wird das Klima in den Ämtern rauer, fürchten manche. Die Arbeitsagentur Süd trifft Vorkehrungen: Private Wachleute patrouillieren, die MitarbeiterInnen absolvieren Konflikttrainings
VON PLUTONIA PLARRE
Ein Mann drängelt sich in einer Arbeitsagentur an der Warteschlange vorbei. „Wo bleibt mein Geld“, schreit der 42-Jährige, zieht ein 30 Zentimeter langes Küchenmesser aus dem Ärmel und fuchtelt damit vor einer Angestellten herum. Der Frau gelingt es, unbeschadet den Raum zu verlassen. Als ihn die Polizei abführt, bittet der Mann um Entschuldigung.
Der Vorfall hat sich Anfang September in der Arbeitsagentur Süd, Niederlassung Treptow, ereignet. Eine Woche zuvor war in der Arbeitsagentur Ost (Lichtenberg) eine Angestellte von einem 44-jährigen Kunden mit einem Messer verletzt worden. Die Häufung der Messerattacken sei Zufall, sagt Konrad Tack, Leiter der Arbeitsagentur Süd (Neukölln, Tempelhof, Treptow-Köpenick).
Über Bewilligung, Kürzungen und Streichungen von existenzerhaltenden Mitteln entscheiden zu müssen sei kein angenehmer Job, weil einem Entscheidungen nur allzu gern als Böswilligkeit ausgelegt würden, sagt Tack. Demzufolge bekämen die rund 1.100 Angestellten einiges zu hören. Körperliche Attacken, vor allem mit Waffen, seien aber so selten, dass darüber keine Statistik geführt werde.
Im Zeichen der Arbeitsmarktreform Hartz IV wird das Klima auf den Ämtern rauer werden, sagen manche. Tack glaubt das nicht, zumindest was seinen Zuständigkeitsbereich Süd angeht. „80 Prozent unseres Klientels wird mit Hartz IV nicht schlechter stehen als jetzt“, sagt er. Finanzielle Einbußen würden hauptsächlich die Besserverdienenden treffen. Diese Gruppe stelle in Neukölln, Treptow-Köpenick und Tempelhof nur 20 Prozent der künftigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Gewalttätigkeiten seien aber auch von denen nicht zu erwarten. „Diese Leute wissen, wie sie sich verbal und rechtlich wehren können.“
Dennoch: Auch die Arbeitsagentur Süd wird die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen, wenn Hartz IV im Januar startet. In den Bereichen, die für die Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Empfänger zuständig sein werden, wird ab dem 1. Januar ein privater Wachschutz tätig sein. Pro Schicht zwei Mann. Der eine soll sichtbar im Eingangsbereich der vier Liegenschaften postiert sein, der andere durch die Flure laufen. Alle 1.100 Mitarbeiter – 80 Prozent sind Frauen – müssen ein Konflikttraining absolvieren. Ziel ist, selbstbewusster mit problematischen Kunden umgehen zu können. Kunden, die in den Akten bereits als besonders schwierig eingestuft sind, werden in Zukunft von Zweierteams beraten.
Eine Videoüberwachung wie im Sozialamt Neukölln ist nicht geplant. „Wir sind ein offenes Haus und wollen unsere Kunden nicht unter Generalverdacht stellen“, sagt Tack. Nicht nur das ist im Sozialamt Neukölln mit ein wenig Befremden registriert worden. Irritiert zeigt man sich auch darüber, dass die Feuerlöscher in den künftigen Hartz-IV-Bereichen wurfbereit stehen gelassen werden sollen. Leiter Tack bevorzugt offensichtlich feinere Sicherungsmechanismen: An sämtlichen Arbeitsplätzen sind die Computer so ausgestattet, dass ein Knopfdruck genügt, um auf den übrigen Bildschirmen Alarm auszulösen. „Diese Taste muss jeder im Schlaf treffen können“, lautet die Anforderung des Chefs.
„Der größte Teil unserer Kundschaft ist um zivile Umgangsformen bemüht“, betont der Agenturleiter. Aber es gebe auch solche, die Türen schlagen, auf den Computer hauen, gegen den Papierkorb treten und rumbrüllen, wenn ihnen eine Entscheidung nicht passt. Insbesondere die Frauen unter den Angestellten würden von männlichen Kunden „unflätig beschimpft“, so Tacks Erfahrung. Früher habe man ein solches Verhalten unter „Erregung“ verbucht. „Heute reagieren wir schneller mit Hausverboten und Strafanzeigen.“
Man kann zu Hartz IV stehen, wie man will, meint Tack. Was ihn aber stört, sei die Tendenz, soziale Unruhen „herbeizureden“. Wenn er den Sicherheitsstandard anheben lasse, geschehe das nicht, weil Hartz IV kommt, sondern weil die Gewalttätigkeiten in der Gesellschaft zunähmen. „Wenn ein BVG-Busfahrer schon deshalb angegriffen wird, weil er an einer Haltestelle vorbeigefahren ist, muss man in so einem sensiblen Bereich wie dem unseren einfach ganz grundsätzlich mit erhöhter Aufmerksamkeit reagieren.“