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Archiv-Artikel

Alles Bohlen, oder was?

Pillepalledideldadeldu: Klatsch- und Tratschbücher der Fernsehprominenz dominierten die Frankfurter Buchmesse. Das lag auch an den einstweiligen Verfügungen, mit denen sich die Justiz als neuer großer Player im Literaturbetrieb präsentiert. Auch sonst ist die Verlagskrise keineswegs ausgestanden

von GERRIT BARTELS

Wer auf dieser Frankfurter Buchmesse am Random-House-Stand in Halle 3.0. vorbeischlenderte, kam an Dieter Bohlen trotz Buchverbots nicht vorbei. Der Verlag hatte dessen Bücher in einem großen Glaskasten verschlossen, auf dem rote Banderolen verkündeten: „Zensiert“. Random House machte aus der Not einen werbewirksamen Gag, ließ auch die mit einem Edding-Stift geschwärzten Passagen besichtigen, wollte sonst aber kein Risiko eingehen, zumal das Landgericht Hamburg die sechs einstweiligen Verfügungen gegen „Hinter den Kulissen“ am Freitag bestätigte. Bohlen stellte das geschwärzte Buch auch nicht am Stand vor, sondern beließ es bei einer Pressekonferenz, wo er mit Katja Kessler, der „Schreiberin vom Gitarristen von Thomas Anders“, seine Weisheiten und anderen „Pillepalledideldadeldu“-Unsinn von sich gab.

Einmal mehr war es Dieter Bohlen, der mit seinem in jeder Hinsicht verbotenen Buch für mehrere Auffälligkeiten dieser 55. Frankfurter Buchmesse stand: für den Drang der Fernsehprominenz, und sei sie noch so semi, Klatsch- und Tratschbücher zu veröffentlichen, unter anderen taten sich da Naddel, Verona, Küblböck, Nena, Susanne Juhnke hervor. Menschen, die nicht schreiben können, machen Bücher für Menschen, die nicht lesen. Dann für den Trubel, den die Auftritte dieser Stars überall verursachten: Muhammad Alis wortloser Auftritt war vielleicht das größte Ereignis dieser Messe. Auch als beim Empfang der Frankfurter Verlagsanstalt im Haus des Verlegers Joachim Unseld plötzlich die ganz in Rosa gewandete Naddel auftauchte, schien es, als gäbe es hier für die Zeit ihrer Anwesenheit nur einen Mittelpunkt. Selbst Schmuddelglamour ist Glamour, irgendwie, und nicht mal Hannelore Elsner kam bei Unseld gegen Naddel an.

Schließlich stand Bohlen für die in den letzten Wochen außergewöhnliche Häufung gerichtlich ausgesprochener Bücher-Verbote: neben Bohlens Buch für eine unautorisierte Grönemeyer-Biografie sowie den Roman „Meere“ von Alban Nikolai Herbst. In Arbeit sollen Verfügungen gegen Naddel, Susanne Juhnke und möglicherweise auch gegen Michael Lentz sein. Dessen Roman „Liebeserklärung“ soll einer ehemaligen Geliebten (siehe Biller, Herbst) mehr als ein Dorn im Auge sein, weshalb diese nun gleichfalls überlegt, juristisch gegen das Buch vorzugehen.

Die Justiz ist einer der neuen großen Player im Literaturbetrieb. Das stört zumindest die Promis nicht. Es kommt ihnen eher gelegen, um nicht zu sagen: ist Ziel einer Buchveröffentlichung. Die mediale Aufmerksamkeit, um die es primär geht, steigert sich noch einmal, und die Einnahmeverluste können sie verschmerzen. Anders sieht das hingegen bei den Schriftstellern Biller und Herbst aus, denen die Verfügungen an die Existenz gehen. Beim Marebuchverlag gab es keine aufwendige „Verboten“-Inszenierung und kein Herbst-Buch, nur Herbst selbst, aber ohne Chance, auf sich aufmerksam zu machen. Wäre nicht Elke Heidenreich gewesen, die in ihrer vorletzten Sendung den bei Mare erscheinenden Roman „Rausch“ von John Griesemer zur Nummer eins der Spiegel-Bestsellerliste gemacht hatte, würde wohl auch der kleine Hamburger Verlag mehr an dem „Meere“-Verbot zu knapsen haben.

Denn auch das wurde bei dieser Buchmesse deutlich: Ganz über dem Berg ist die in den letzten beiden Jahren in eine größere Krise gerutschte Branche noch nicht. Die Stimmung mochte gut sein und die Messe wieder etwas mehr Aussteller und mehr Besucher verzeichnen, der Umsatz des Buchhandels aber wird in diesem Jahr erneut leicht sinken. Ging er im vergangenen Jahr um 2 Prozent auf 9,2 Milliarden Euro zurück, so errechnete der Börsenverein des deutschen Buchhandels bis zum August insgesamt einen Rückgang von 4,9 Prozent und verkündete unter Berücksichtigung des traditionell blendend laufenden Weihnachtsgeschäfts einen Umsatzrückgang für 2003 von ebenfalls 2 Prozent. Buchmessendirektor Volker Neumann wiederum verwies lieber auf die 7-Prozent-Umsatz-Zuwächse im August und September und wehrte sich bei der Diskussionsrunde „Buchmarkt im Umbruch: Wer überlebt?“ einmal mehr gegen das ständige Lamentieren: „Von einer Krise zu reden ist völlig überzogen.“

Einen Umbruch bei Verlagen und Handel aber gibt es sehr wohl: Die Verlagskonzentration wird größer, trotz Verlagsneugründungen wie Blumenbar, Schirmer & Graf oder Orange Press, die auf dem Buchmarkt jedoch kaum ins Gewicht fallen. Und die mittelständischen Verlage und kleineren unabhängigen wie Wagenbach haben mehr und mehr damit zu kämpfen, ihre vielen anspruchsvollen, nicht auflagenträchtigen Titel überhaupt an die Buchhandelsketten liefern zu können. Nicht einmal die Kennedy-Biografie bekämen sie in das Zentrallager der großen Ketten, beklagte DVA-Chef Jürgen Hobach. Denn gerade hier geht der Trend zu immer weniger Titeln, zu den Büchern, die sich schnell verkaufen, den „Schnelldrehern“ wie denen von Bohlen oder Küblböck. Diese verursachen natürlich keine Lagerkosten, für die ausschließlich die Verlage aufkommen, weshalb jeder Verlag auf zumindest einen Bestseller hofft: „Immer mehr Umsatz konzentriert sich auf immer weniger Bücher“, verkündete Börsenvereinsvorsteher Dieter Schormann.

Die Grenzen werden so zusehends fließend. Man denke nur an Stefan Effenberg beim Aufbau-Verlagsableger Rütten & Löhning, an Madonna bei Hanser oder an den Wechsel einer Erfolgsautorin wie Tanja Kinkel von Random House zu Unselds Frankfurter Verlagsanstalt. Fühlt aber Kinkel, wie sie selbst sagt, sich bei FVA „viel, viel besser“ betreut, so heißt ihr Wechsel noch lange nicht, dass sie ins Verlagsprofil passt.

Umgekehrt wies Susanne Schüssler, die Geschäftsführerin von Wagenbach, auf mehreren Veranstaltungen darauf hin, dass man zwar Autoren sorgfältiger und langfristig betreue, aber nicht die Ressourcen habe, um gezielt und mit teuersten Werbemaßnahmen einen Bestseller lancieren zu können. Bedenklich fand Schüssler, dass im Gegenzug Verlagshäuser wie Random House und Holtzbrinck gar keine Autoren mehr verpflichteten, die nicht eine Auflagenerwartung von mindestens 5.000 Exemplaren hätten.

Dem aber widersprach Luchterhand-Verleger Gerhard Trageiser, dessen Verlag seit zwei Jahren bei Random House ist. Nicht nur habe er solche Titel im Programm, sondern überhaupt könne er sich mit dem starken Verlag im Rücken sehr gut um seine Autoren kümmern und brauchte nicht jeden Morgen zu schauen, welche Rechnungen er jetzt schon wieder bezahlen müsse.

Sein gutes und erfolgreiches Verlagsprogramm mit unter anderem Christa Wolf, Wladimir Makanin und Antonio Lobo Antunes gibt ihm zumindest für diese Saison Recht. Wie viel Geduld aber Random House aufbringt, wenn es mal nicht so gut läuft, lässt sich nach zwei Jahren nur schwer sagen. Genauso wenig übrigens, ob die starken Russen auch nach der Buchmesse noch den literarischen Diskurs bestimmen. So waren sie zwar überall präsent, doch eine gewisse Müdigkeit, noch viele Worte über sie zu verlieren, zeigte sich überall auf den Empfängen, Ständen oder den Messehallen-Cafés.

Nächstes Jahr gibt es ja schon wieder eine Buchmesse und einen neuen Schwerpunkt: die arabische Literatur.