: Probieren geht über Agitieren
Rund 70 ehrenamtliche Multiplikatoren werben bei Transfair für den fairen Handel. In Supermärkten, auf Messen, in Unis und auf Info-Seminaren sind dabei immer öfter die Produkte selbst Türöffner: über guten Geschmack zu fairem Bewusstsein
VON CHRISTOPH RASCH
Tobias Baron erlebte seine Sensibilisierung für fair gehandelte Produkte schon als bayerischer Realschüler – im Hauswirtschaftsunterricht. Seine Kaufgewohnheiten hat er damals umgestellt. Und heute ist der 29-jährige Wahlbremer ein- bis zweimal im Monat in norddeutschen Supermärkten, Hausfrauenrunden oder Uni-Workshops unterwegs, baut zwischen Hamburg und Hildesheim seinen „Probierstand“ auf oder hält Seminare.
Baron ist einer der rund 70 ehrenamtlichen Transfair-Multiplikatoren, die speziell dafür ausgebildet wurden. Und in den fünf Jahren seines Engagements hat der Fair-Trade-Werber dabei schon die gesamte Palette möglicher Kundenreaktionen kennen gelernt, von absoluter Begeisterung bis zu vehementer Ablehnung: „Ein gewisses Konfliktpotenzial finde ich sogar gut, ich akzeptiere kritische Sichtweisen und beginne dann einen echten Dialog über diese Positionen“, die – so erfährt er immer wieder – nicht selten auf Vorurteilen und Unwissen beruhen.
„Man darf eben kein Blatt vor den Mund nehmen, ich muss ehrlich rüberkommen“, sagt er. Nur dann stelle sich ein nachhaltiger Erfolg auch bei den Kunden im Supermarkt ein. Die Marktleiter verkaufen nach seinen Auftritten mehr fair Gehandeltes – manchmal steige der Umsatz um 160 Prozent, sagt Tobias Baron.
Seine Klientel kommt aus sozialen Motiven „oder einfach nur wegen der leckeren Schokolade“. Baron holt die Menschen bei ihrem individuellen Wissensstand ab: Ob er nun Rezepte verteilt, die er in seiner Zeit als Koch – „Spezialgebiet: Kakao“ – gelernt hat, oder ob er in drastischen Bedingungen von seinen Eindrücken auf einer Orangenplantage in Panama erzählt: „Die Arbeiter werden permanent Schädlingsbekämpfungsmitteln ausgesetzt, bis sie selbst wie Orangen aussehen.“
Dass faire Produkte vor allem von wohlhabenden Bildungsbürgern gekauft werden – für ihn ein Klischee: „Ich war anfangs sehr überrascht, dass viele Menschen, die keinen Studienabschluss haben, sehr viel offener und sensibler für solche Produkte sind als etwa meine Kommilitonen an der Uni“, sagt er. Im Weltladen, den Baron zusammen mit Kollegen im eher wenig kaufkräftigen Bremer Stadtteil Gröpelingen betreibt, gehören Schichtarbeiter zu den Stammkunden. Sein Fazit: „Wer Geld hat, der kauft billig“, sagt er, „aber vor allem Menschen, die nicht gerade reich sind – unter ihnen auch viele Migranten – kaufen fair Gehandeltes.“
Der Wohnort spielt eine große Rolle: Kleinstadtbewohner seien oft für den fairen Handel eher zu begeistern als angebotsverwöhnte hektische Großstädter, sagen die Transfair-Leute. Und in der traditionellen Überseehandelsstadt Bremen „wissen Seeleute und Lagerarbeiter ja oft, unter welchen Bedingungen produziert und angebaut wird, oder waren selbst mal in Südamerika“, berichtet Tobias Baron. Die persönliche Identifikation sei also vorhanden.
Und wo die Identifikation noch fehlt, da bauen die fair gehandelten Waren selbst den Menschen eine Brücke. „Jahrzehntelang wurde immer zuerst auf die schlimmen Zustände in den Erzeugerländern hingewiesen“, sagt Judith Siller (46), die in Berlin als Transfair-Multiplikatorin arbeitet, „und die Folge war, dass die Leute schließlich keine Lust mehr hatten, die Produkte auch zu kaufen“. Für die Musiktherapeutin steht deshalb zunächst das „Probieren“ im Mittelpunkt der Arbeit, wenn sie rund 20 Produkte auf ihrem bunten Infostand auslegt. „Vor allem Schokolade und Süßigkeiten gehen gut“, sagt sie.
Die Ehrenamtlichen müssen auf Zack sein: Auf kritische Fragen reagieren, über Produktsiegel informieren, aus erster Hand über die Situation in Entwicklungsländern berichten. Doch: Ohne Probierangebote erreichen auch gut geschulte Multiplikatoren kaum noch die von allen Seiten umworbene Laufkundschaft. „Deshalb soll diese Schiene künftig noch ausgebaut werden“, berichtet Beatrix Beuthner, die in der Kölner Transfair-Zentrale bundesweit die Arbeit der ehrenamtlichen MultiplikatorInnen betreut.
Gerade die junge Zielgruppe soll erreicht werden. Vor den großen Ferien organisiert Judith Siller regelmäßig Wirtschaftsrollenspiele in Schulen, wo der Preiskampf auf dem Weltmarkt simuliert wird. „Die Erkenntnisse daraus müssen dann die Lehrer aufgreifen“, sagt sie.
Auch an den Unis gibt es noch viel Arbeit für Multiplikatoren, wie Götz Feeser (28). Seine Hauptzielgruppe sind Studenten. In Berlin, wo fair gehandelter Kaffee bereits in Unimensen Einzug gehalten hat, soll eine hochschulübergreifende Marketingaktion starten. Auch Feeser, der gerade in Berlin sein VWL-Studium abgeschlossen hat, ist deshalb nicht nur im Supermarkt für den fairen Handel unterwegs – sondern auch im Hörsaal: „Die Studenten“, sagt er, „sind ein sehr offenes Publikum, aber über das Angebot wissen die wenigsten Bescheid.“ Beim Aufbau einer Fair-Trade-Hochschulgruppe nach englischem Vorbild jedenfalls „zeigte sich, dass sehr viel Interesse da ist – und noch viel Nachholbedarf“.