Der Wespenflüsterer

Treffen Mensch und Wespe aufeinander, geraten leicht entweder die einen oder die anderen in Panik. Dann hilft Erich Siegloch. Der ehrenamtliche Wespenbeauftragte im Landkreis Diepholz schützt die Menschen vor der Wespe – oder genau umgekehrt

Als Kind hat er den Mutigen gespielt und nach Wespennestern im Boden gestochert

aus Stuhr-VarrelARMIN SIMON

In wenigen Tagen ist alles vorbei. Dann wird das Summen verstummen und auch die letzte noch umherirrende Wespenjungkönigin in irgendeinem Schlupfloch ihren Winterschlaf antreten. Und Erich Siegloch wird wieder ruhige Tage haben.

Davon konnte in den letzten Monaten keine Rede sein. Denn Siegloch, eigentlich Organisationsprogrammierer im Ruhestand, ist seit Jahren nebenbei ehrenamtlicher Wespenbeauftragter des Landkreises Diepholz. Einer, der kommt, wenn sich Menschen von den gelb-schwarzen Fliegern bedroht fühlen. Der zuhört, erklärt, berät, bisweilen auch ganze Nester umsiedelt. Also Hilfe in der Not.

So was spricht sich herum. Wespen im Schuppen, Wespen in der Hauswand, Wespen an der Markise – bei Siegloch steht im Sommer das Telefon nicht mehr still. Über hundert Mal wurde der Experte allein in diesem Jahr gerufen. Eigentlich wird ihm das ein bisschen zu viel. Aber: „Besser sie rufen mich als gleich den Vernichter.“

Den Menschen die Angst vor den gelb-schwarzen Insekten nehmen, das ist Sieglochs Hauptanliegen. Also sieht er nach, ob es sich tatsächlich um Wespen und nicht vielmehr um Schwebfliegen oder Mauerbienen handelt. Und klärt auf: Dass Hornissen, die Mittlere und die Sächsische Wespe gar kein Interesse an Kuchen und Süßzeugs haben, sondern – neben Insekten – lediglich auf Baumsäfte und Blütennektar scharf sind. Dass die Deutsche und die Gemeine Wespe, die auch menschliches Essen attraktiv finden, zwar „manchmal lästig“ werden können. Dass aber auch diese nur wenige Monate leben – und im nächsten Jahr ihr Nest woanders bauen. Zweimal hintereinander Wespen am gleichen Haus, beruhigt Siegloch, die linke Hand in der Jeanstasche, den rechten Arm angewinkelt vor dem Bauch, „das kommt so gut wie nie vor“.

Als Kind hat Erich Siegloch „den Mutigen gespielt“ und um die Wette nach im Boden eingegrabenen Wespennestern gestochert, Motto: Wer hat die meisten Stiche? Bienenvölker hat er als Jugendlicher gehalten. Jahrzehnte später wurden ihm diese Vorkenntnisse zum Verhängnis. „Du kennst dich doch mit so was aus“, drängten ihn seine Freunde vom Naturschutzbund, als die Naturschutzbehörde nach ehrenamtlichen Wespenhelfern fragte. Denn die nützlichen Tiere – ein einziges Volk kann bis zu 500 Gramm kleinere Insekten am Tag verspeisen – haben es schwer. Rare Nistplätze, Pestizide: Mittlere und Sächsische Wespe gelten als bedroht und gefährdet, Hornissen stehen gar unter Artenschutz. Ohne Grund darf kein Wespenvolk getötet, die Vernichtung von Hornissen muss gar vom Umweltministerium abgesegnet werden.

Die viel gefürchteten Stiche können zwar AllergikerInnen tatsächlich gefährlich werden. Ihren Stachel, weiß Siegloch, benutzten Wespen aber nur zur Verteidigung. Von einem Nest hoch oben in einer Fassadennische gehe also in der Regel keine Gefahr aus.

Doch das Verhältnis zwischen Mensch und Wespe ist gespannt. Mancher Hausbesitzer, so Sieglochs Erfahrung, will die Wespen aus Prinzip weghaben. Selbst Menschen, die zuvor panische Angst vor Stichen gezeigt hätten, würden sich dann auf eigene Faust am Nest zu schaffen machen, hat er verwundert festgestellt. Andere rufen den Vernichter, kaum dass Siegloch das Haus verlassen hat. „Dann war’s vergeblich“, sagt er betrübt.

Zum wirklichen Problem, sagt Erich Siegloch, würden Wespen nur dann, wenn ihr Nest tatsächlich im Weg hänge. In einem Fall etwa hausten sie in einem Geräteschuppen – so ungeschickt, dass ihr Nest bei jedem Öffnen der Tür durchgeschüttelt wurde. Das deuten die Insekten leicht als Angriff – und insbesondere die aggressiveren Arten lassen dann nicht mit sich spaßen. Zwölf Mal hat Siegloch in dieser Saison schweren Herzens geraten, einen Vernichter zu rufen. Selbst davon zu reden, ist ihm unangenehm.

Ist das Nest frei zugänglich, nicht zu groß und seine Bewohnerinnen nicht zu stechwütig, kann Siegloch das Insektenvolk an einen anderen, von Menschen unbehelligteren Ort umsiedeln. Eingehüllt in einen Imkeranzug setzt er dazu eine Art übergroße Tortenspritze an den Nestausgang an, um dann mit leichtem Klopfen an die Waben einen Angriff zu simulieren. Die Wespen, kampfbereit, fliegen nach draußen – und landen in Sieglochs Riesenspritze, die anschließend unten an zweigeteilten hölzernen Umsiedlungskasten angedockt wird – ebenfalls eine Eigenentwicklung. Wichtig ist, dass die Königin dabei nicht verloren geht: Ohne sie stirbt das Volk aus. Das verlassene Nest findet oben im Kasten Platz. Am neuen Standort ein paar Kilometer weiter zieht Siegloch das trennende Brettchen zwischen den beiden Hälften heraus – und die Tiere nehmen ihr Nest erneut in Besitz. Zwölf dieser Kästen, die er am Ende der Wespensaison wieder einsammelt, hat Siegloch selbst gebaut. In diesem Jahr hat er sie alle gebraucht. Damit es nächstes Jahr wieder kräftig summt.