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Archiv-Artikel

„Die Protestwähler werden sich neu positionieren“, sagt Everhard Holtmann

Die Wahlkämpfer der Volksparteien in Sachsen und Brandenburg hätten sich besser auf die Landespolitik konzentriert

taz: Herr Holtmann, die PDS wird bei den morgigen Landtagswahlen wohl die große Gewinnerin. Sind die Sozialisten das Auffangbecken der Protestwähler?

Everhard Holtmann: Die PDS konnte sich schon vor der öffentlichen Hartz-IV-Debatte als Regionalpartei, die Ostinteressen vertritt, in der Wählergunst festigen. Aber natürlich gelingt es der PDS nun besonders gut, aus dem großen Potenzial der Protestwähler Stimmen zu mobilisieren.

Haben die Montagsdemos der PDS Aufwind verschafft?

Das aktive Einreihen der PDS in die Montagsdemonstrationen hat ihr zwar politisch genutzt – bei einem großen Teil der Klientel zumindest. Ungleich mehr hat der PDS die öffentlich geführte Debatte über die Monatagsdemos genützt. Die Resonanz der Medien war meiner Ansicht nach sehr viel höher als der tatsächliche Stellenwert dieser Demonstrationen.

Könnten die Protestwähler langfristig den Erfolg der PDS garantieren?

Langfristig reicht das wohl nicht. Derzeit nutzt es der PDS, dass sie ihre Kritik an Hartz IV nicht erst öffentlich gemacht hat, als die Demos begannen. Die PDS hat von Anfang an deutlich Widerstand angemeldet. In der Fortsetzung dieser Position punktet sie bei Teilen der Wählerschaft.

Wieso erntet die PDS keine Proteste dafür, dass sie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die Hartz-Gesetze mit umsetzt?

Das liegt daran, dass das kritische Erkennen dieser Doppelrolle zwei Dinge voraussetzt: einen politischen Informiertheitsgrad und die Fähigkeit, in komplexen Zusammenhängen zu denken. Bei Protestwählern ist beides nicht sehr verbreitet, unter ihnen ist der Typ des rationalen Wählers selten. Protestwähler reagieren aus einer diffusen Unzufriedenheit heraus und wollen den Regierenden einen Denkzettel verpassen.

Wird sich die Stasi-Affäre von Peter Porsch, Sachsens PDS-Spitzenkandidaten, auf das Wahlergebnis auswirken?

Es ist fraglich, inwieweit sich die Wähler davon beeindrucken lassen. Ich vermute, dass in der jetzigen Situation die Sorge um den Arbeitsplatz einen derartigen Stellenwert einnimmt, dass Fragen der politischen Moral von einem Großteil der Wahlbevölkerung als nachrangig gesehen werden.

Kommt die PDS gänzlich ungeschoren davon?

Sie wird jetzt schon zum Teil nicht mehr als Alternative zu den so genannten etablierten Parteien wahrgenommen. Die Umfragewerte der PDS in Sachsen sind bereits rückläufig. Umgekehrt steigen die Zahlen für die NPD. Das lässt vermuten, dass etliche sächsische Protestwähler sich neu orientieren. Es kommt zu einer Verschiebung von der Linken zur extremen Rechten.

Sind die NPD-Wähler in Sachsen und die DVU-Wähler in Brandenburg nur Protestwähler, oder breitet sich braunes Gedankengut weiter aus?

Wir wissen bisher darüber nichts Genaues. Aber je mehr die rechten Parteien kommunale Mandate bekommen, desto mehr können sie auch rechtsextreme Ideologien verbreiten.

Die SPD in Sachsen erreicht vielleicht nur noch ein einstelliges Ergebnis. Verliert die Partei im Osten den Boden unter den Füßen?

Die SPD läuft Gefahr, auf längere Sicht in einer Minderheitenposition zu verharren. Ihre Schwäche hat sie schon im vorherigen Wahlergebnis niedergeschlagen. 10,5 Prozent – schon das war für eine Volkspartei desaströs.

In Brandenburg sieht es auch bei der CDU nicht rosig aus. Liegt das an ihrem unbeliebten Frontmann?

Die CDU wird bundesweit derzeit von einem negativen Trend mit erfasst, in den die SPD schon früher geraten ist. Die Wahlergebnisse der CDU schon bei Europawahl und Thüringer Landtagswahl zeigen: Die CDU ist zwar als souveräner Sieger aus diesen Wahlen hervorgegangen, hat aber Stimmen verloren. Weder in Brandenburg noch in Sachsen lässt sich dieser Trend durch Popularität und Profil von Spitzenkandidaten völlig auffangen.

Was ist nur los mit SPD und CDU?

Beide großen Parteien haben das Problem, dass sie ihre Klientel nicht mehr an sich binden können. Davon profitieren die kleinen Parteien.

Hätten die Parteien sich im Wahlkampf auf Landesthemen konzentrieren sollen?

Die bundespolitischen Themen haben die landespolitischen völlig überlagert. Für die Wahlkämpfer aller Parteien – die Protestparteien ausgenommen – war es schwierig, sich als Landespolitiker zur Geltung zu bringen. Das ist ein Nachteil sowohl für die regierende Koalition in Brandenburg als auch für die noch allein regierende CDU in Sachsen.

INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER