: Lebenslang wird immer länger
Noch werden durchschnittlich 17 Jahre einer lebenslangen Haft verbüßt, doch die Zeiten sollen wieder härter werden
Die Zahl der Strafgefangenen, die eine lebenslange Haft verbüßen, nimmt derzeit drastisch zu. Waren es vor zwanzig Jahren noch etwa tausend Personen, sind es heute schon rund 1.800. Dabei ist die Zahl der Verurteilungen mit 50 bis 100 pro Jahr relativ konstant geblieben. „Das ist ein klares Indiz dafür, dass die Lebenslänglichen immer später entlassen werden“, sagt Hans-Jörg Albrecht, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kriminologie in Freiburg. Für ihn ist das der Ausdruck eines neuen „Strafbedürfnisses“ seitens der Gesellschaft.
Ursprünglich war die lebenslange Freiheitsstrafe wirklich als solche gemeint. Und nur ein Gnadenakt des jeweiligen Ministerpräsidenten konnte zu einer vorzeitigen Entlassung führen. Das Bundesverfassungsgericht hatte jedoch 1977 entschieden, dass die Menschenwürde nur gewahrt wird, wenn auch der „Lebenslängliche“ eine Perspektive auf ein Lebensende in Freiheit hat.
Der Gesetzgeber legte deshalb die Mindestverbüßungszeit auf 15 Jahre fest. Anschließend ist eine Entlassung auf Bewährung möglich, wenn von dem Gefangenen keine weiteren Straftaten zu erwarten sind. Dies gilt allerdings nicht, wenn das Strafgericht im Einzelfall eine „besondere Schwere der Schuld“ festgestellt hat. Dann legt das Gericht eine höhere Mindestverbüßungszeit fest, in der Regel zwischen 15 und 25 Jahren.
Doch auch nach deren Ablauf ist dem Gefangenen die Entlassung nicht sicher. Denn davor prüft ein Vollstreckungsgericht, ob eine Gesamtwürdigung des Täters die weitere Vollstreckung der Haft erfordert. Dabei wird auch das Verhalten während der Haft berücksichtigt.
Derzeit sterben etwa neun Prozent der „Lebenslänglichen“ in der Haft. Die durchschnittliche Verbüßungsdauer liegt nach Angaben von Generalbundesanwalt Kay Nehm momentan noch zwischen 16 und 17 Jahren. Zu diesem niedrigen Schnitt trägt auch die Abschiebung von ausländischen „Lebenslänglichen“ vor der vollen Verbüßung ihrer Strafe bei. Die Vollzugspraxis ist dabei regional sehr unterschiedlich. So dauert das „Lebenslänglich“ in Bayern mit durchschnittlich an die 22 Jahre schon jetzt deutlich länger.
Die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe, für die zum Beispiel der Deutsche Anwaltsverein eintritt, spielt rechtspolitisch heute keine große Rolle mehr. Faktisch würde sich dadurch auch nicht viel verändern. Wo die Gerichte heute auf eine „besondere Schwere der Schuld“ erkennen, würde künftig eine befristete Höchststrafe von 25 oder 30 Jahren verhängt. Und wer wegen fortdauernder Gefährlichkeit heute nicht entlassen wird, würde nach der Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe eben in Sicherungsverwahrung genommen. Es würden sich also in erster Linie die Etiketten ändern.
Die Sicherungsverwahrung ist heute mehr ins öffentliche Blickfeld gerückt, weil sie nicht nur für Mörder verhängt wird, sondern auch für Gewalt- und Sexualstraftäter, für die das Strafgesetzbuch keine lebenslängliche Strafe vorsieht. Dennoch ist die Anwendung in der Praxis immer noch vergleichsweise vorsichtig. Bundesweit sitzen nur etwas mehr als 300 Personen in Sicherungsverwahrung – vor zehn Jahren waren es allerdings lediglich 176. Insgesamt sitzen rund 60.000 Gefangene in deutschen Justizvollzugsanstalten.
CHRISTIAN RATH