Die Nacht der lebenden Leichen

Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Körperwelten-Macher Gunther von Hagens wegen nächtlichen Fotoshootings mit Leichen. Landgericht München hatte in einem Parallelfall bereits auf „Störung der Totenruhe“ erkannt

von ELKE SPANNER

Gunther von Hagens hat offenbar die Einwilligung der von ihm präparierten Menschen, sich nach dem Tod plastinieren und zu Wissenschaftszwecken ausstellen zu lassen. Aber ist davon auch die Zustimmung umfasst, ihre Leiche für ein Fotoshooting nachts im Tor des Millerntorstadions posieren oder vor der Rickmer Rickmers an den Landungsbrücken ablichten zu lassen? Die Hamburger Staatsanwaltschaft bezweifelt das und hat wegen Störung der Totenruhe nun strafrechtliche Ermittlungen gegen den Organisator der Körperwelten-Ausstellung eingeleitet. Von Hagens hatte Anfang Oktober mit einzelnen der von ihm präparierten Leichen eine nächtliche Sightseeing-Tour veranstaltet und sich dabei von Fotografen der Mopo begleiten lassen.

Der Ausstellungsmacher wird sich dabei nicht darauf berufen können, nicht gewusst zu haben, dass sein nächtlicher Ausflug mit Leichen juristisch fragwürdig ist. Denn in München, wo er bereits schon einmal mit Toten auf Tour war, laufen seit Monaten strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn – während derer sogar Räume von Hagens durchsucht wurden. In Bayern steht das Verfahren bereits kurz vor seinem Abschluss. Der zuständige Münchener Oberstaatsanwalt August Stern geht davon aus, dass von Hagens „groben Unfug“ mit den Leichen und daher eine Straftat begangen hat. „Er hat sicher nicht die Einwilligung der plastinierten Menschen, als Leiche nachts an eine Bushaltestelle gestellt zu werden oder vor der Feldherrenhalle zu knien“, sagt der Ermittler.

Obwohl die dortigen Ermittlungen noch laufen, hat das Münchener Landgericht bereits eine wegweisende Entscheidung getroffen: Als es den Durchsuchungsbeschluss für von Hagens Räume erlassen hat, hat es festgestellt, dass eine „Störung der Totenruhe“ durch ein nächtliches Fotoshooting mit Leichen gegeben ist. „Wenn das in einem Parallelverfahren von drei Berufsrichtern in der zweiten Instanz bejaht wird“, erklärt Hamburgs Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger die Auswirkungen auf das hiesige Verfahren, „kommt man als Ermittler nicht darum herum, bei gleichem Sachverhalt ebenfalls in die Geschichte einzusteigen“.

Sollten die Hamburger Ankläger sich der juristischen Auffassung des Münchener Gerichtes anschließen, werden sie in einem zweiten Schritt prüfen, gegen wen genau das Ermittlungsverfahren sich richten wird. Fest steht, dass natürlich von Hagens selbst im Visier stehen wird. Möglich ist aber auch, dass die Staatsanwaltschaft zusätzlich Ermittlungen gegen die FotografInnen und AutorInnen der Mopo einleitet, die den nächtlichen Ausflug begleitet haben. In München, wo von Hagens seine nächtliche Show mit Redaktionsmitgliedern der Zeitschrift Max veranstaltete, laufen die Ermittlungen auch gegen die verantwortlichen RedakteurInnen und FotografInnen.

Unterdessen hat nicht nur die Staatsanwaltschaft Skepsis gegenüber dem Treiben von Hagens geäußert. Am Wochenende hatten die Jusos ein vorzeitiges Ende der Körperwelten-Ausstellung verlangt (taz berichtete). Seit seiner nächtlichen Sightseeing-Tour sei offensichtlich, dass die Ausstellung keinen wissenschaftlichen Zwecken diene, sondern nur der „Sensationsgeilheit“. Zuvor hatte die Hamburger Ärztekammer von Hagens bereits scharf kritisiert: Präsident Michael Reusch hat dem Ausstellungsmacher „Kommerzialisierten Tabubruch und Voyeurismus“ unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaft vorgeworfen.