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Archiv-Artikel

Skandale wären gut

Ist Berlin Verlags- oder gar Literaturstadt? Antworten suchte die Frankfurter Buchmesse, wo Berlins VerlegerInnen über Buchladenschwund und Leseunlust debattierten. Eine Standortbeschreibung

von JÖRG SUNDERMEIER

Es wird momentan gern über den so genannten Literaturstandort Berlin geredet. Doch allein das Wort vom Literaturstandort ist ein dummes, denn der hiesige Buchhandel führt selbstverständlich auch Bücher von Hamburger oder Stuttgarter Verlagen, Berliner Verlage verlegen mehr als nur Berolinensia.

Nimmt man nun das sehr einflussreiche Barsortiment Libri, welches einen nicht eben geringen Teil der deutschen Buchhandelsbestellungen ausführt, so müsste „der Literaturstandort“ Deutschlands wohl das hessische Bad Hersfeld sein.

Mit dem Gerede über den Literaturstandort Berlin meint man etwas anderes: einen Ort, an dem sich Verlage, AutorInnen und BuchhändlerInnen in einem regen Austausch befinden, an dem also „Literatur“ gemacht wird. Berlin jedenfalls ist das nicht, das hat nicht etwa die Buchmesse gezeigt, das zeichnete sich schon vorher ab.

In den letzten Monaten haben sich die Prozesse innerhalb des Buchhandels dermaßen beschleunigt, dass es selbst BranchenkennerInnen schwer fällt, mit Gewissheit zu sagen, welcher Verlagsname noch Imprint welches Konzernes ist. Selbst wenn ein vor Jahren noch renommierter Berliner Name wie Ullstein inzwischen München zuzuordnen ist oder wenn Alexander Fest seinen erfolgreichen Verlag zugunsten eines Leitungspostens bei Rowohlt schloss, zeigt nicht das die Krise der Berliner Verlage.

Vielmehr probt Berlin jetzt schon, was dem Rest des Landes noch bevorsteht: Buchhandlungen wie Juliettes Literatursalon, Kiepert oder Krakehler, die in den vergangenen Monaten zwar aus verschiedenen Gründen, doch immer auch der ausbleibenden Kundschaft wegen schließen mussten, sind nicht durch entsprechende Neugründungen ersetzt worden. Andere, durchaus namhafte Buchhandlungen warten, wenn sie können, erst mal die erste oder zweite Mahnung ab, bis sie Mieten und Lieferungen zahlen. Es fehlen zudem Leseorte, und die Veranstalter setzen nicht selten auf das Bewährte oder aufs Spektakel.

AutorInnen hingegen gibt es in Berlin wie wohl in keiner anderen Stadt, doch verschwinden diese zwischen den anderen Menschen und pflegen kaum Umgang miteinander. Entsprechend findet man auch die Berliner Verlage vereinzelt. Auf die anhaltende Krise reagieren sie mit der Hilflosigkeit des Erschöpften – sie versuchen mit programmfremden Gassenhauern und neuen, in anderen Verlagen bereits erfolgreichen Themenschwerpunkten Erfolg zu haben – kommen aber nicht selten zu spät.

Die Misere hat zwei Ursachen: Zum einen fehlt in Berlin jene bürgerliche Schicht, die in Frankfurt oder Hamburg zu finden ist. Hier gehören Bücher, auch bei denen, die sie sich leisten können, nicht mehr zum guten Ton. Andererseits sorgt die Mutlosigkeit der meisten Verlage dafür, dass die Lesenden keine unlektorierten oder lieblos gemachten Bücher erwerben wollen.

Es scheint, dass sich an dieser Situation nichts ändern wird – für ein anderes Literaturverhalten müssten die daran überhaupt noch interessierten Verlage, AutorInnen und auch die LeserInnen mehr Mut und Zeit aufbringen, als sie sich es in der derzeitigen Lage leisten können.

Den Berliner Verlagen ist also, wie allen anderen, ein weiterer Effenberg oder eine sonstige Skandalnummer zu wünschen – und das in jeder Hinsicht.