: Der Aufstand der Alten
Rund 5.000 Senioren demonstrieren gegen Renteneinsparungen und Sozialabbau. Aber auch der Streit um unterschiedlich hohe Ost- und Westrenten bewegt die Demonstranten – gerade in Berlin
von JOHANNES GERNERT und RICHARD ROTHER
Die Wut war geplant. Aber eigentlich sollte sie sich gegen Spar- und Rentenpläne der Bundesregierung richten. So hatten es die Grauen Panther vorgesehen, die zum Rentnerprotest ans Brandenburger Tor gerufen hatten. Manche der etwa 5.000 Demonstranten bekamen sich allerdings auch untereinander in die Haare.
Richtig wütend wurde zum Beispiel die Ostberlinerin Eva Urks, als ihr ein meckernder Westdeutscher ausdauernd vorhielt, dass sie wegen ständigen „Materialmangels“ nie richtig gearbeitet habe, nun aber abkassieren wolle. Die Frührentnerin versuchte daraufhin, ihn sanft aus dem Demozug zu drängen. „Nur weil Frauen im Westen nicht arbeiten durften, lasse ich mich nicht beschimpfen.“
Das Ost-West-Gerangel um die Renten hat seine tiefere Ursache in den in Ost und West unterschiedlich hohen Altersrenten – auch in Berlin. So erhalten männliche Westberliner Angestellte nach Angaben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte im Durchschnitt eine monatliche Altersrente von 1.153 Euro, im Ostteil der Stadt ist es mit 1.286 Euro deutlich mehr. Der Grund dafür: Während die Westmänner durchschnittlich 39,6 Jahre für ihren Rentenanspruch arbeiteten, waren die Ostangestellten 45,8 Jahre im Dienst.
Dieser Unterschied ist auch bei den weiblichen Angestellten evident. In Westberlin kommen bei ihnen 701 Euro Altersrente aufs Konto, im Osten sind es 791 Euro. Dafür arbeiteten die Westberlinerinnen 34,8 Jahre, die Ostberlinerinnen 38,6 Jahre.
Unterschiedliche Lebensarbeitszeiten dürfte es auch bei den Berliner Arbeitern geben, die jetzt im Ruhestand sind. Aufgeschlüsselte Zahlen über die gearbeiteten Monate von Männern und Frauen ließen sich gestern bei der Landesversicherungsanstalt ad hoc zwar nicht ermitteln, aber der Ost-West-Rentenunterschied ist ebenso deutlich wie bei den Angestellten. Bekommen die Ostberliner Arbeiter im Durchschnitt 858 Euro Altersrente pro Monat, so kriegen die Westberliner nur 744 Euro.
Die im Vergleich zu den Angestellten niedrigen Durchschnittswerte ergeben sich nicht nur aus den geringeren Einkommen der Arbeiter, die Grundlage für die Rentenbeitragszahlung und dadurch die Rentenberechnung sind. Statistisch zu Buche schlägt vor allem, dass aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen sehr viel mehr Frauen als Männer Altersrente beziehen. Die in der Regel geringeren Frauenrenten drücken den Durchschnitt.
Auf der gestrigen Demo blieb die Stimmung allerdings trotz einiger Ost-West-Streitereien friedlich. „Die meisten können ja gar nicht mehr richtig laufen, das ist doch toll, dass die überhaupt hier sind“, sagte einer. Und manch Westberliner Rentner schlug versöhnliche Töne an. Edmund Schmidt aus Reinickendorf beispielsweise gönnt den Frauen aus Ostdeutschland ihre Rente. „Viele haben ihr Leben lang gearbeitet. Die haben jetzt einen Anspruch auf ihre Rente.“