In der Ägäis beginnt eine neue Ära

Auf dem Parteitag der türkischen Regierungspartei AKP tritt der griechische Oppositionsführer auf. Die politische Annäherung kann positive Folgen für den Zypern-Konflikt haben. Die Entsendung von Soldaten in den Irak ist offiziell kein Thema

aus Ankara JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Ich spreche hier nicht nur als Vorsitzender der Nea Demokratia, ich spreche als ihr Nachbar. Trotz vieler Schwierigkeiten in der Vergangenheit leben auf beiden Seiten der Ägäis Menschen, die den Frieden wollen. Auch deshalb unterstützen wir den Weg der Türkei in die EU.“ Der Auftritt des griechischen Oppositionsführers Konstantinos Karamanlis war einer der Höhepunkte des ersten Parteitags, den die Fortschritts- und Gerechtigkeitspartei (AKP) seit der Übernahme der Regierung im letzten Jahr am Sonntag in Ankara veranstaltete.

Dass ein hoher griechischer Politiker, vermutlich sogar der kommende Regierungschef, bei einem Parteitag in der Türkei auftrat, war an sich schon ein Novum. Dass er sich auch noch zur Unterstützung einer türkischen EU-Mitgliedschaft bekannte, brachte ihm den Jubel der Delegierten ein, auch wenn dieses Versprechen eher symbolische Bedeutung haben dürfte. Es war ein Signal für einen Aufbruch zu neuen Ufern, einen Aufbruch, den zuvor auch der eigentliche Star der Veranstaltung, der Parteichef und Ministerpräsident Tayyip Erdogan, betont hatte.

Zweieinhalb Stunden hämmerte Erdogan den Delegierten der Partei diese Botschaft ein: Mit uns hat eine neue Ära für dieses Land angefangen. Seine Anhänger dankten es ihm mit enthusiastischem Jubel, minutenlangen Ovationen und einem geradezu sowjetischem Ergebnis von 94 Prozent bei seiner Wiederwahl als Parteichef. Obwohl die Regierung mit dem Beschluss, türkische Soldaten in den Irak zu senden, eine höchst unpopuläre Entscheidung getroffen hat, geriet die Veranstaltung über weite Strecken zu einem Hochamt auf Erdogan. Mehr denn je glaubt seine Partei an ihn, vertraut nahezu blind auf die Entscheidungen der Führung. „Er ist ein guter, ehrlicher Mann“, sagte ein einfacher Delegierter und brachte damit die Grundstimmung in der Partei, aber auch in einem großen Teil der türkischen Bevölkerung auf den kürzesten Nenner. Noch hat diese Regierung eine weiße Weste, und sie hat Erfolg.

Es sind noch nicht einmal drei Jahre her, dass ebenfalls in Ankara auf einem Parteitag der islamischen Saadet Partie der heutige Außenminister Abdullah Gül als Vertreter des Modernisiererflügels in einer Kampfkandidatur um den Parteivorsitz unterlag. Heute stellt die im Anschluss neu gegründete AKP zwei Drittel der Parlamentsabgeordneten und Tayyip Erdogan sitzt als Regierungschef fest im Sattel. Angesichts solcher Erfolge braucht Erdogan sich innerhalb seiner Partei auch für die Irak-Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Es reichte den Delegierten, dass er betonte, türkische Soldaten gingen nicht als Besatzer, sondern als Nachbarn und Freunde nach Bagdad. Kritische Nachfragen waren da nicht zu befürchten. Diskutiert wurde, wenn überhaupt, dann am Rande der Veranstaltung.

Gegenüber der taz begründete Murat Mercan, einer der stellvertretenden Parteivorsitzenden, die mögliche Entsendung von Soldaten mit dem türkischen Interesse, den irakischen Zentralstaat zu unterstützen. „Wir wollen nicht, dass der Irak sich spaltet. Die Türkei will mithelfen, im Irak stabile Verhältnisse zu schaffen.“ Den Widerspruch des provisorischen irakischen Regierungsrates hält er für nicht so relevant. „Die repräsentieren nicht die Bevölkerung“, meint Mercan.

Auch eine Zuspitzung im Konflikt mit den irakischen Kurden glaubt die Regierung verhindern zu können. Man wird sich aus dem Weg gehen und in dem Konflikt um die rund 5.000 Kämpfer der türkisch-kurdischen PKK eine nichtmilitärische Lösung finden. „Warten sie noch ein paar Wochen ab, dann wird sich eine wichtige Veränderung ergeben“, sagte Mercan.

Mercan bestätigte damit Gerüchte, dass die USA sich um ein Exil für 40 bis 50 Führungskader der PKK bemühen. Das, glaubt Mercan, würde dann den Weg frei machen, damit die einfachen PKK-Mitglieder die von der Türkei angebotene Teilamnestie in Anspruch nehmen.

Auf dem Parteitag wurden aber noch weitere außenpolitische Signale gesetzt. Der Auftritt von Karamanlis galt nicht nur der griechisch-türkischen Versöhnung, er sollte auch den gemeinsamen Willen für eine Lösung der Zypern-Frage demonstrieren. In Nordzypern wird im Dezember gewählt, und die AKP setzt auf einen Wechsel. Erstmals seit Raulf Denktaș seinen nordzypriotischen Staat ausgerufen hat, war auf dem Parteitag einer türkischen Regierungspartei auch die türkisch-zypriotische Opposition eingeladen. Falls die Opposition im Dezember gewinnt, so Murat Mercan, „kommt der Annan-Plan mit Unterstützung aus Ankara wieder auf den Tisch“.