: Sashas Tanztheater-Laden
Von der tänzerischen Wiederbesiedlung einer verlassenen Welt, in der die alten Konnotationen von Macht und Größe ihre Bedeutung verloren haben: Sasha Waltz zeigt die Ergebnisse ihrer Improvisationen im Volkspalast
Selbst Berlins Busfahrer spielen mit. „Das heißt jetzt Volkspalast“, weist ein Fahrer der Linie 100 einen Fahrgast zurecht, der nach der Haltestelle am Palast der Republik fragt. Viel ist passiert, seit die Initiative Zwischen Palast Nutzung ihr Programm gestartet hat. Besucher kamen zum Bal Moderne und fuhren mit Schlauchbooten durch das Untergeschoss des Palastes; die Medien rennen der Koordinatorin Amelie Deuflhard fast die Türe ein; Finanzsenator Thilo Sarrazin hatte plötzlich die Idee, Steuern für die als Veranstaltungsort nutzbare Ruine zu fordern; und Peter Conradi, der sich immer gegen einen Schlosswiederaufbau und für den Erhalt des Palastes ausgesprochen hatte, feierte genau dort seinen Abschied als Präsident der Bundesarchitektenkammer. Seinen Gästen auf dem Fuß folgten über 20 Tänzer, die mit Sasha Waltz und dem slowenischen Choreografen Itzok Kovac im Volkspalast probten. Mit der Aufführung setzte Sasha Waltz eine Reihe von Improvisationen fort, zu denen sie seit Jahren Tänzer und Musiker an ungewöhnliche Orte einlädt.
Entstanden ist ein bildkräftiger Abend, der, ohne Symbole oder historische Zitate zu bemühen, leichthändig und leichtfüßig mit der Architektur des Palastes umgeht. Der erste Teil spielt im Foyer, auf einem fast fußballplatzgroßen Feld, das mit grünem Rasen ausgelegt ist. Am Feldrand sitzen die Zuschauer und sieben Musiker des Ensembles Zeitkratzer. Sie spielen eine Paraphrase auf „Persepolis“, eine Komposition von Iannis Xenakis, vor deren lautstarken akustischen Gesten der Macht und der Gewalt man nur in die Knie gehen kann. Die Luft dröhnt vor permanenter Anspannung, und die Tänzer, die von allen Seiten in diesen offenen Raum gerannt kommen, Gruppen und Mannschaften bilden und den Bewegungsfluss durch Langsamkeit verfremden, werden von der Druckwelle der Musik immer weiter aus dem Hier und Jetzt gespült. Die choreografischen Sequenzen erinnern an frühere Stücke von Sasha Waltz, aber die Perspektive und das assoziative Potenzial haben sich verändert durch den Kontext der Musik und die Weite des Areals. Alle Zeichen stehen auf Entmachtung des Subjekts, selbst die Magie der Gruppenrituale versagt dagegen. Kein Wunder, dass der grüne Rasen gegen Ende des ersten Teils immer wieder von den Körpern der Tänzer übersät ist.
Im zweiten Teil dagegen, wenn das Publikum in Gruppen durch das entkernte Gebäude geführt wird und von Galerien und Brücken aus die Tänzer in der Raumtiefe beobachten kann, ist die Stimmung verändert. Jetzt kann der Palast alles sein, von keinem Geist und keiner Geschichte mehr sind seine Räume besetzt: Die weiten Räume zwischen den Betonsäulen werden zur Straße, zum Schulhof, zum Platz. Die Tänzer kommen und gehen wie Streetgangs.
Auf der letzten Station sieht man in weiter Ferne ein Paar beim Tanz zwischen den Zuschauerrängen des alten Theatersaals. Sie scheinen so weit weg, als stünde man selbst auf einem Hügel und blickte in das Rund einer antiken Arena. Der Palast ist jetzt nicht mehr monumentale Architektur, sondern fast zur Landschaft geworden. Zwischen dem tanzenden Paar und uns liegt die alte Maschinerie des High-Tech-Bühnensaals und erinnert an den gestrandeten Körper eines Raumschiffes.
Man würde die Tour jetzt gerne noch einmal machen, könnte sich immer weiter verlieren in der Fiktion, an der Wiederbesiedelung einer verlassenen Welt teilzunehmen, in der die alten Konnotationen von Macht, Größe und Repräsentation ihre Bedeutung verloren haben. Aber die Vorstellung geht dem Ende zu und dann darf man nur noch einmal wieder in das Foyer, um jetzt selbst als Suppenesser Teil eines Gruppenbildes an langen Holztischen zu werden.
Die Leerstelle, die der Palast einnimmt, wurde von Sasha Waltz nicht neu bestimmt – das war noch nie ihre Lesart von Gebäuden. Eher betreibt sie eine Abstraktion von der konkreten Geschichte, die Veränderung als Option in die alte Hülle schreibt: ein Spiel im Dazwischen, in der Lücke der Zeit, das mehr zu sein auch nicht beansprucht.
KATRIN BETTINA MÜLLER