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Archiv-Artikel

Der Elitenschmied

Er genießt Anerkennung in der islamischen Welt, aber auch im WestenGesponserten Dünger nutzten die Bauern auch, Mohnfelder zu kultivieren

VON HENRIKE THOMSEN

Der Titel steht für Luxus und Jetset: Sultan Mohammed Schah Aga Khan III. ließ sich in den 1940ern öffentlich mit Edelsteinen aufwiegen. Sein Sohn Ali Khan war in zweiter Ehe mit Rita Hayworth verheiratet und raste mit einem Sportwagen in den Tod. Und auch der Enkel, Prinz Karim IV., schaffte es in die Klatschspalten, als er eine schöne deutsche „Begum“ in zweiter Ehe heiratete, die geschiedene Gabriele Prinzessin zu Leiningen und Tochter der Wienerwald-Magnatin Renate Thyssen-Henne. Ein Schloss bei Paris und eine kostbare Rennpferdezucht tun ihr Übriges, dass die Klatschspalten dem amtierenden Aga Khan genau wie seinen Vorgängern das Image des reichen Lebemanns aufdrücken.

Dennoch ist der 49. Aga Khan kein Mann allein der High Society und der Bussi-Bussi-Welt. Sein ursprünglich von Sultan Mohammed Schah gegründetes Hilfswerk „Aga Khan Development Network“ (AKDN) unterhält zahlreiche Hilfsprogramme für Landwirtschaft, Bildung, technische Entwicklung und Kultur im krisengeschüttelten Zentralasien. Allein in Afghanistan wird das AKDN bis Ende 2004 168 Millionen Euro investieren, darunter in den Wiederaufbau von Architekturdenkmälern in Kabul sowie den Aufbau des ersten landesweiten Handynetzes. Die geschickte Verzahnung von Profit- und Non-profit-Projekten hat das AKDN zu einer der größten privaten Hilfsorganisationen gemacht, die auch in Ägypten, Syrien, Sansibar und Kenia aktiv ist.

Der Aga Khan genießt das Vertrauen des Westens, denn das AKDN hat sich regelrecht zu einem Entwicklungshilfekonzern entwickelt, in dem der Aga Khan umtriebiger Generaldirektor ist. Die Projektgelder stammen überwiegend von internationalen Geldgebern wie Deutschland, Kanada, den USA, der Weltbank, der Europäischen Kommission und der UN. Am 6. September unterzeichnete die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, ein Memorandum mit dem AKDN. Die künftig verstärkte Zusammenarbeit soll vor allem der Bekämpfung des Drogenanbaus in Afghanistan dienen, aber auch Gesundheitsprojekten und einem alternativen Mikrokreditwesen zur Stärkung der Region.

Als Oberhaupt von 17 bis 20 Millionen Ismailiten, einer Untergruppe der Schiiten, genießt der 67-jährige aber auch das Vertrauen der islamischen Welt. Bisher wahrte er stets politische Neutralität. Die Ismailiten leben weltweit verstreut und haben eine progressive, kosmopolitische Haltung im Islam. Der Aga Khan selbst ist ein in der Schweiz und in Harvard erzogener Intellektueller, der modernes westliches Denken mit islamischem Selbstbewusstsein und islamischer Tradition verbindet. Doch in jüngster Zeit positioniert sich „Allahs sanfter Revolutionär“ (Der Spiegel) politisch für seine Verhältnisse ungewohnt deutlich, wie bei einem seiner seltenen Interviews in einem Luxuszimmer des Berliner Adlon.

„Demokratie an sich ist kein Exportprodukt“, sagt er mit warnendem Blick auf die Begründung des Irakfeldzuges. „Auch sie kann scheitern. Sie ist direkt hier unter der Nase des Westens gescheitert, der einige der langlebigsten und korruptesten Demokratien der Welt hatte“, fügt er hinzu, offenbar in Anspielung auf Italien. Man habe aber kein Recht, „einen Prozess zu exportieren, der selbst schon rissig ist.“ Die Kritik des Aga Khan richtet sich dennoch auch gegen die Demokratiefeindlichkeit in vielen islamischen Ländern. „Der Versuch von Stämmen, strengen Glaubensinterpretationen oder staatlichem Dogmatismus, alle Menschen zu normieren, ist für mich völlig inakzeptabel. Pluralismus ist in allen islamischen Gesellschaften traditionell tief verwurzelt. Der Islam unterstützt die Menschen in ihrem Recht, ihr eigener Herr zu bleiben und sich ihr Urteil selbst zu bilden“, sagt er. In Afghanistan sei die Situation immer noch vergleichbar schwierig wie im Irak. Der Aga Khan plädiert daher für eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen notfalls auch später als Herbst 2004, falls die Voraussetzungen dann immer noch nicht gegeben seien.

Wie aber sollen die Menschen in Zentralasien unter diesen Bedingungen Pluralismus und Vertrauen in das demokratische Ideal wieder lernen? Durch Elitenbildung, meint der Aga Khan. An der Nordgrenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan hat er deshalb das vielleicht ehrgeizigste Projekt des AKDN ins Leben gerufen: eine Länder übergreifende Eliteschmiede, in der Afghanistan, Pakistan, China und die ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken wie Tadschikistan ihre Führungskräfte von morgen schulen sollen.

Hoch im Pamirgebirge direkt an der Grenze liegt die tadschikische Kleinstadt Chorog, einer der drei Standorte der „University of Central Asia“. Als der Handel auf der Seidenstraße florierte, blühte auch der Ort. Doch das ist Jahrhunderte her: Das moderne Chorog ist verarmt und heruntergekommen wie die gesamte zentralasiatische Krisenregion am Südrand des ehemaligen Sowjetreiches, zwischen Pakistan und Afghanistan.

In der Markthalle aus rohen Betonwänden an der zentralen Leninstraße ist außer Reis, Brot und türkischen Konserven kaum etwas im Angebot. Die seltene russische Schokolade ist wie zum Spott mit Papier aus falschen Euro- und Dollarnoten umwickelt: Die Bevölkerung ist so arm, dass sie bis vor wenigen Jahren im Winter von Hilfslieferungen abhängig war. Ein besseres Auskommen verspricht nur der Drogen- und Waffenschmuggel, der hier seine Ware auf den Weg nach Russland und Europa bringt. Doch die Folgen für die Region sind umso schlimmer: Die Sucht- und HIV-Raten sind hoch, und die Frauen mit ihren bunten Gewändern und Kopftüchern beklagen moderne Sklaverei bei den Männern: Auf Monate würden sie von Banden ins Ausland verschleppt, um bei illegalen Geschäften zu helfen und unter erbärmlichsten Bedingungen Schwarzarbeit zu leisten.

Jetzt sollen die zitronengelben Banner der UCA, die über den Lehmstraßen flattern, und ein ausgedehnter Campus für frischen Elan sorgen. Noch erinnert der Unterricht allerdings mehr an eine Volkshochschule: Aufbaukurse in Hygiene für Krankenschwestern, Businesspläne für Marktfrauen oder Bienenzucht für Bauern sind im Gratisangebot. Ab Herbst 2005 sind zweijährige Diplomstudiengänge in Landwirtschaft, Pädagogik, Verwaltungs- und Handelslehre, Tourismus- und Umweltmanagement geplant, ab 2007 vierjährige interdisziplinäre Master-Programme nach amerikanischem Vorbild.

Die Universität soll sich dann auch auf Tekeli (Kirgistan) und Naryn (Kasachstan) als Standorte verteilen und pro Jahr mindestens 1.500 Absolventen hervorbringen, bestens geschult auch in Englisch und im Umgang mit Computern.

„Es geht um Elitenbildung, allerdings um intellektuelle und nicht um ökonomische Eliten“, sagt der Aga Khan. Denn Demokratie ist für ihn „undenkbar ohne eine intellektuelle Führungsschicht. Das ist das wichtigste, was die Länder in solchen Krisenregionen wieder lernen müssen: dass Pluralismus ein Gewinn ist, wenn man ihn richtig zu managen versteht.“

In der Stadt Chorog kann man aber auch besichtigen, wie die ehrgeizigen Visionen des Aga Khan an ihre Grenzen stoßen und wie ein Alltag voll anhaltender Brutalität und existenziellem Mangel sein nobles Credo ad absurdum führt. Man sieht dies zum Beispiel an der Brücke, die das AKDN von der Stadt aus über den Grenzfluss Pjandsch nach Afghanistan bauen ließ. Es war als symbolische Geste gedacht, als der Aga Khan den schmale Steg einweihte, unter dem der Pjandsch an dieser Stelle breit und ruhig dahinfließt. Außerdem sollte die Brücke eine praktische Erleichterung des kleinen Grenzverkehrs bieten. Doch sie blieb auf Monate nach der Eröffnung im Herbst 2002 unpassierbar. Die russischen Soldaten, die bis heute den Grenzschutz in der zentralasiatischen Republik Tadschikistan versehen, erteilten keine Visa an Afghanen.

Ein zweites Beispiel wiegt schwerer: Kaum hundert Kilometer südlich der Grenze, in der afghanischen Provinz Badachschan, unterstützt das AKDN wie andere Hilfsorganisationen auch die Bauern mit Saatgut und Dünger. Die Bauern sollen auf diese Weise vom Mohnanbau abgehalten werden – in solche Projekte will künftig das BMZ sein Geld vermehrt investieren.

Tatsächlich aber benutzen die Bauern den Dünger auch, um ihre Mohnpflanzen zu kultivieren. Das Übel des Drogenhandels, das man bekämpfen möchte, wird also auf Umwegen vom gleichen Geld genährt. „Die Gefahr, das so etwas passiert,ist angesichts des ganzen Spektrums unserer Arbeit kein Grund, alles zu stoppen“, sagt der Aga Khan darauf. Aber zum ersten Mal klingt etwas wie Ernüchterung in seiner Stimme mit.