: Reicher Westen – armer Osten
Studie des Diakonischen Werks belegt massiven Rückgang der Kinderbetreuung in Hamburgs sozialen Brennpunkten. Kitas im reicheren Westen sind dagegen rappelvoll. Träger fordern Nachbesserung des Gutschein-Systems
von EVA WEIKERT
Kinder, die in sozialen Brennpunkten leben, bleiben beim Kita-Gutschein-System auf der Strecke. Das belegt eine Studie über die Betreuung in Kindertagesstätten, die das Diakonische Werk Hamburg gestern vorstellte. Demnach ist nach Einführung der Gutscheine der Rückgang der betreuten Kinder und der Betreuungsstunden in ärmeren Stadtteilen viermal höher als im Hamburger Durchschnitt. „In den sozial schwachen Stadtteilen geht die Kinderbetreuung den Bach runter“, warnt Jens Kretzschmar von der Diakonie. In der Folge würden dort die Jüngsten in der Bildung benachteiligt und drohten zu verwahrlosen.
Das Diakonische Werk, das ein Fünftel der Hamburger Kita-Plätze bereitstellt, hat in 105 seiner 158 Einrichtungen die Belegung zwischen Juni und September abgefragt. „Das Ergebnis ist alarmierend“, sagt Kretzschmar, der die evangelischen Kitas bei der Umstellung auf das zum 1. August eingeführte Gutschein-System berät. Laut Statistik wurden in acht Häusern in ärmeren Stadtteilen wie Veddel, St. Georg oder Dulsberg im September knapp 13 Prozent weniger Kinder betreut als zuvor. 84 Jungen und Mädchen verloren dort ihren Platz. Die Betreuungszeit musste um etwa 20 Prozent reduziert werden, so dass viele Kinder statt bisher täglich zehn nur bis zu sechs Stunden in der Kita verbringen dürfen.
In ganz Hamburg wurden im September nur drei Prozent weniger Kinder als im Juni betreut, die Betreuungszeit schrumpfte um rund fünf Prozent. Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) hatte hingegen Vollversorgung versprochen und geprahlt, das System habe zur Neugründung von 100 Kitas geführt. Kretzschmar empört sich: „Dass es mehr Plätze denn je gibt, stimmt nicht.“
Die Zukunft sieht für die Ärmsten noch düsterer aus: Die Diakonie errechnete, dass ab 2004 Dreiviertel aller Kinder, die bisher in sozial benachteiligten Regionen ganztags betreut wurden, diesen Platz verlieren und die Betreuungsstunden dort nochmals um ein knappes Viertel sinken. Grund dafür ist das Ende der „Übergangsregelung“. Demnach verlieren viele Kinder spätestens im August 2004 ihren Ganztagsplatz und dürfen nur noch vier Stunden täglich in der Kita sein, wenn Vater oder Mutter nicht arbeitet. Die strengen Bewilligungskriterien für einen Gutschein benachteiligen dann vor allem ausländische Kinder, wie Kretzschmar kritisiert. Für Sprachförderung werde nur noch selten ein Acht-Stunden-Schein vergeben.
Einen Betreuungsschwund „vor allem im Süderelbebereich“ sieht auch die Vereinigung der Hamburger Kindertagesstätten, die 173 Häuser betreibt. „Tendenziell geht das Bewilligungsvolumen dort zurück, wo viele Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Migranten leben“, sagt Vorstandsmitglied Martin Schaedel.
Angesichts dessen sehen sich viele Träger in ihrer Existenz gefährdet. Helen Melcher, Leiterin der Kita Budapester Straße in St. Pauli, musste zwei Erzieherinnen und eine Raumpflegerin entlassen, weil nach dem 1. August zehn Kinder nicht wiederkommen durften. Zugleich fehlen noch rund fünf Prozent der Gutscheine für Kinder, die bereits betreut werden. 18 der 105 Kitas der Diakonie müssen nach dem 1. August Personal abbauen, darunter viele Kitas in Stadtteilen mit niedriger Erwerbsquote. Die Kitas im wohlhabenden Westen der Stadt seien dagegen „rappelvoll“, sagt Kretzschmar. Er fordert: „Die Bewilligungskriterien sind sozial unausgewogen und müssen nachgebessert werden.“
Den Vorwurf weist der Senator zurück. Sprecher Alexander Luckow sagt: „Wir haben nicht das Ziel, in bestimmten Stadtteilen die Versorgung zu erhöhen oder zu reduzieren.“ Lange werde im November Resultate eines eigenen „Controlling“ vorlegen.