: Im Weltraum der Seele
Vor 60 Jahren entdeckte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, wie wirkungsvoll LSD als Droge ist. Eine soeben erschienene schöne CD versammelt Originalaufnahmen von Interviews, Lesungen und Vorträgen, die Hofmann in den Neunzigern hielt
von DETLEF KUHLBRODT
In diesem Jahr feiert LSD seinen 60. Geburtstag. Wie häufig bei Gedenktagen ist aber zunächst einmal alles eher unklar. Vor fünf Jahren wurde nämlich schon mal der 60. Geburtstag der Droge gefeiert. Es gab Löschblätter mit Albert-Hofmann-wie-er-berauscht-auf-seinem Fahrrad-nach-Hause-fährt. Ein Dia dieser Papers wurde auf einer weiteren LSD-Jubiläumsveranstaltung – dem 96. Geburtstag von Albert Hofmann – im vergangenen Jahr im Berliner Tempodrom gezeigt. Albert Hofmann also. LSD oder Acid, wie man früher sagte, als auf Raves die Acidfreunde mit Acidaufnähern auf ihren Jacken und Acid im Hirn durch die Landschaft groovten. Oder noch früher in England, als die Shamen „I can move any mountain“ sangen.
Im Jahr 1938 also wurde LSD zum ersten Mal durch Albert Hofmann synthetisiert. 1943 entdeckte der brave Schweizer Chemiker eher zufällig, dass LSD eine ziemlich potente Droge ist. Deshalb die verschiedenen Geburtstagsdaten. Bis 1966 wurde LSD von der Firma Sandoz produziert und bei der Behandlung von Suchtkranken und in der Psychotherapie verwendet. Man meinte, mit der Droge Blockaden bei Patienten lösen zu können. So dachte Sigmund Freud eine Weile über Kokain. Nachts träumte er davon, eine schöne Monografie über die Pflanze zu schreiben.
Ernst Jünger, der Islamwissenschaftler Rudolf Gelpke, Aldous Huxley, Gary Grant, Jimy Hendrix, John Lennon und Michel Foucault gehörten zu den prominenten LSD-Liebhabern. Pforten der Wahrnehmung sollten in gottlosen Zeiten der Vollbeschäftigung geöffnet werden. Auf der Suche nach einem Mittel, mit dem man Gefangene zum Sprechen bringen könne, wurde LSD in der US-Armee getestet. Manche Soldaten freuten sich des Lebens; andere sprangen aus dem Fenster. Sprecher (Timothy Leary etc.) und Bands der linksmystisch orientierten Gegenkultur der Sechzigerjahre propagierten LSD als Mittel, die Menschheit zu verbessern. Stanley Kubricks „2001“ ist der bekannteste LSD-Film, und am Anfang der Videoclipgeschichte steht das bunte Erleben eines Trips.
In den Hoch-Zeiten der Hippiekultur war LSD das, was Ecstasy später für die Technobewegung werden sollte: die gute Droge, die der Bewusstseinserweiterung und gesellschaftlichen Veränderung dienen sollte. Streng unterschieden wurde sie von den bösen Realodrogen: Speed, Kokain, Heroin und später auch Nikotin. Im Zuge von Techno gab es eine Acidrenaissance. Zurzeit sind nicht mehr so viele Menschen auf bunten Bildern, und die Droge schmollt in der Nische, wenn man den zollbehördlichen Beschlagnahmungszahlen Glauben schenken mag.
Die Wirkung der Respekt einflößenden Droge ist nur schwer vorherzusehen. Mal kippt man in den bösen Wahnsinn, mal ist man äußerst glücklich, von den verwirrten Innen- und Außenwahrnehmungen gar nicht zu reden. Oft ist man erleichtert, wenn’s dann vorbei ist.
Anlässlich des 60. Jahrestags der LSD-Erstbenutzung hat der Kölner Supposé Verlag nun eine CD mit Originalaufnahmen des nimmermüden LSD-Erfinders Albert Hofmann herausgebracht. Der fidele Chemiker wurde in diesem Jahr 97 Jahre und taucht immer noch gern auf Konferenzen auf, die etwa „Welten des Bewusstseins“ heißen. Im Umfeld derer, die mittels LSD ihrem inneren Menschen kurz mal Hallo sagen wollen, ist der Schweizer Chemiker ein Idol. Seine Vitalität gilt vielen als Beleg für die Güte des Stoffes, den er damals synthetisierte.
Auf der CD gibt es 20 mal längere, mal kürzere Passagen von Lesungen, Diskussionen, Interviews und Vorträgen, die Hofmann zwischen 1992 und 1997 in Heidelberg, Göttingen und Leipzig hielt. Der Chemiker hat eine warme Stimme Schweizer Färbung. In der Tradition der Mystik sagt er, man müsse die vermeintlichen Gegensätze zwischen Innen und Außen, Natur und Geist, Religion und Geisteswissenschaft auflösen, um im erfüllten Augenblick zu landen, und dort die Dinge so sehen, „wie sie wirklich sind“. Das erledigt die Droge dann für einen.
Die Tracks sind chronologisch geordnet und erzählen eine romantische Lebensgeschichte. In der drogenlastigen Romantik geht es ja oft darum, dass anfangs, in der unvordenklichen Kinderzeit, alles noch ein fröhlich unbewusstes Singen und Springen ist. Dann teilt sich das Bewusstsein, die Kindergedanken verlieren ihre Allmacht, die Sehnsucht weiß nicht mehr, wohin mit sich, der Grübelprozess beginnt. Die einen studieren BWL, und die anderen machen sich als unglückliches Bewusstsein auf den Weg zum absoluten Wissen wie weiland Hegel, Wilhelm Meister und später Harry, der Held aus Hermann Hesses „Steppenwolf“, oder auch Frodo aus „Herr der Ringe“.
Der große Hofmann erzählt, wie dem kleinen Hofmann plötzlich so wohl, ungeteilt und glücklich ward in Gottes schöner Natur und wie dieses Einheitserlebnis dem großen Hofmann dann auf LSD wieder begegnete. Dann gibt es verschiedene Passagen über die unterschiedlichen Stadien der Entdeckung von LSD. Hofmanns Wortwahl kommt naturgemäß etwas altertümlich daher. Einmal kam er, so geht der Gründungsmythos, zufällig mit der Substanz in Berührung und radelte, sich komisch fühlend, nach Hause. Im Jahr 1943 machte er einen Selbstversuch mit einem Viertel eines tausendstel Gramms, also etwa dem Fünffachen einer normalen Dosis, und siehe da: „Höhnisch triumphierte die Substanz über meinen Willen.“ Was ihn aber nicht davon abhält, weiter mit dieser und anderen Substanzen zu experimentieren.
In den folgenden 30 Jahren entdeckt der verschmitzte Forscher, dass LSD-25 auch in den Pilzen vorkommt, die bei schamanischen Ritualen mexikanischer Indianer gegessen werden. Und er kommt zu der Überzeugung, dass LSD-ähnliche Substanzen in den Mysterien von Eleusis eine Rolle gespielt haben. Unter Graecisten ist diese Ansicht allerdings umstritten. Klar ist aber, dass es in der körpereigenen Chemie des Menschen auch ähnliche Stoffe gibt. Bis heute glaubt der LSD-Erfinder an den spirituellen Nutzen seiner Droge und ist mit seinen Glaubensgenossen dazu übergegangen, nicht mehr von „psychedelischen“, sondern von „entheogenen“ Drogen zu sprechen – also von Drogen, die das quasi Göttliche in uns erlebbar machen. Mit nicht weniger Recht wurde LSD auch als psychomimetische Droge bezeichnet, also als ein Stoff, der Psychosen erlebbar macht.
Den massenhaften, also quasi demokratischen Gebrauch von LSD in der Hippieära lehnte Hofmann ab. Einerseits hofft er darauf, dass LSD in der Psychotherapie irgendwann wieder zugelassen wird, andererseits sagt er, psychisch labile Leute sollten lieber die Finger davon lassen. Natürlich werden Drogen als Medizin genommen, und logischerweise sind auch in der Szene der Benutzer halluzinogener Drogen die beschädigten Psychen in der Mehrzahl. Das macht sie so sympathisch, und deshalb ist es auch so unangenehm, wenn bei LSD-und-Bewusstseins-Blabla-Veranstaltungen fast immer Gottfried Benns berühmter Drogenaufsatz „Provoziertes Leben“ (1943) verlesen wird: „Potente Gehirne aber stärken sich nicht durch Milch, sondern durch Alkaloide.“
Eines der Highlights auf der schönen CD ist der Bericht von einem Trip, den Hofmann zusammen mit Rudolf Gelpke und Ernst Jünger unternommen hat. Die Frau machte Linsen mit Spätzle, während die abenteuerlustigen Intellektuellen sich auf die Fahrt in den „Weltraum der Seele“ machten. Jünger und Gelpke trugen dabei kaftanartige Gewänder, weil der Alltag auch optisch abgelegt werden sollte. Hofmann hoffte auf die Wiederkehr seines schönen Kindheitserlebnisses, wanderte aber stattdessen durch gespenstische mexikanische Städte in seinem Kopf. Mit Mozart-Musik und „einem köstlichen Mahl feierten wir die Rückkehr“.
Albert Hofmann: „Erinnerungen eines Psychonauten“. Supposé Verlag, Köln 2003, Audio-CD, 68 Min., 18 €