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Archiv-Artikel

Expeditionen in den Kunstwald

Zum Licht streben, auch unter den Bedingungen des Experiments: Das Art Forum Berlin ist erwachsen geworden. Die neunte Ausgabe der Messe ist gut besucht und lässt Trends erkennen, wie das Interesse der Kunst am wissenschaftlichen Experiment

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der monumentale hölzerne Ventilator in der Koje des jungen Galeristen Johann König ist der Hingucker des diesjährigen Art Forums. Freilich ist er gar keine Windmaschine, sondern eine Konstruktion nach einer Idee von Wernher von Braun. 25.000 Euro kostet Andreas Zybachs „Rotating Space“ aus einem Fuß, auf dem sich ein schräg gestellter Korb dreht. In seinen inneren Kreis füllt der Schweizer Künstler üblicherweise Erde und Samen. Dank der steten Umdrehung wachsen die Pflanzen dann vertikal zum Mittelpunkt des rotierenden Korbs und keineswegs grade nach oben, zum Licht, wie zu erwarten wäre.

Mit einer ähnlichen Schräglage gegen das Erwartete muss wohl das Art Forum überleben, dachte man letztes Jahr, als viele wichtige Galerien, zumal aus Berlin, wegblieben. Es werde ein Kreisen um sich selbst bleiben, abgekoppelt von den bedeutenden Messen, auf denen die Geschäfte wirklich gemacht werden. Doch nun sieht alles anders aus. Die letztjährige Krise war produktiv, sind sich nun die Beteiligten einig. Die meisten abtrünnigen Galerien, vor allem aus Berlin, sind zurückgekehrt und mit ihnen die Highlights und hochpreisigen Arbeiten. Die Reduktion der Teilnehmer, der Umzug in die historischen Ermisch-Hallen und die Erweiterung der Messe durch die Ausstellung „Made in Berlin“, die die Kunstproduktion in der Hauptstadt vorstellt, haben für Tageslicht, Frische und Übersicht gesorgt. 17.000 Besucher kamen in den ersten zwei Tagen, doppelt so viel wie letztes Jahr.

Relaxed sei die Atmosphäre, sagt der Galerist Alexander Ochs, der Stress sich zu vergleichen sei weg, dieses „höher, größer, weiter“. Die Messe sei erwachsen geworden. Das zeigten die anwesenden wichtigen Sammler und Kuratoren und das rege Interesse der Medien. Thomas Roth etwa, Leiter des Hauptstadtstudios der ARD, war auf der Messe. Politiker interessieren sich für Kunst offenbar nur, wenn sie aus der CDU stammen. Wolfgang Clement geht zwar stets zur Art Cologne, auf dem Art Forum war er bisher nicht zu sehen.

Sechs Fotografien des chinesischen Künstlerpaares Shao Yinong & Muchen hat Alexander Ochs an eine Privatsammlung in München verkauft. Die Bilder zeigen Versammlungsräume auf dem Land, in denen besonders während der Kulturrevolution die Feinde des Landes und der Partei in öffentlichen Ritualen gedemütigt wurden. Heute nun sind diese Räume zum Teil verfallen oder abgefackelt; manche samt der politischen Parolen noch erhalten; andere wieder in Textilfabriken, Restaurants oder buddhistische Tempel verwandelt. So benennen die Fotos kurz und bündig das chinesische Schicksal: Destruktion, Anpassung, Überleben.

Neben viel Malerei fallen wissenschaftliche Experimente und Naturstudien auf. Insofern ventiliert Andreas Zybachs Holzkorb das Thema der Stunde. Die Galerie La Ferronnerie aus Paris, zum ersten Mal auf dem Art Forum, stellt die finnische Fotografin Sanna Kannisto vor, die mit ihrem kleinen transportablen Studio Biologen auf deren Expeditionen in den tropischen Regenwald begleitet hat. Da die künstliche Studiosituation in den Fotos sichtbar ist, laufen medienreflexive und wissenschaftskritische Überlegungen bei ihren Beobachtungen von Pflanzen und Tieren unwillkürlich mit. Richard Müller, ein Schweizer Künstler, der in Paris lebt, untersucht den Sonnenuntergang am Meer im Form von Leuchtkasten-Fotografie, filigraner Zeichnung und Videofilm. Alle medialen Transformationen Müllers beruhen auf alten Postkarten, die er in Bulgarien erstand und am Computer aufarbeitete.

Nur ein paar Schritte weiter, bei der Galerie Fahnemann, verwandelt Michael Wessely mit einer eigens konstruierten Schlitzkamera die Landschaft in einen bunten Strichcode. Anders als der schwarz-weiße Warencode bauen sich sein Landschaften aus horizontalen Linien auf. Klara Wallner, mit ihrer neu eröffneten Galerie gleich zum Art Forum zugelassen, hat Hannah Dougherty ausverkauft. Mit dieser Künstlerin hatte sie schon letztes Jahr bei Michael Wewerka Furore gemacht. Ein Schweizer Sammler erkannte in Arbeiten von Nicole Bianchet (von 1.500 bis 5.800 Euro) die momentan interessanteste Malereiposition und kaufte. Mutig hat auch Contemporary Fine Art seine Stars zur Seite gerückt und tritt mit einem Maler auf, der neu im Programm ist: Norbert Schwontkowski, Jahrgang 1949, eine späte, aber überzeugende Entdeckung.

„Berlin wird immer mehr Berlin“, zitiert Stefan Saffer mit einer Wandarbeit Rilke. Zumindest in dem zehn Meter großen Bild bei Arndt & Partner, das Anton Henning in bekannt schrottiger Manier von der Neuen Nationalgalerie gemalt hat, kommt die Stadt endlich wieder zu sich. Wie eben auch auf dem Art Forum, relaxed, durchaus noch cheap & chic, aber eben nicht nur. Das Pflänzchen wächst grade zum Licht, wie jede andere Pflanze auch, heißt das Resümee.

Art Forum, Palais am Funkturm, nur noch heute 12–20 Uhr