: „Es muss ein Leuchtturm sein“
Das Haus der Kulturen der Welt hat seine Musikreihen gestrichen und setzt ganz auf interdisziplinäre Festivals wie derzeit „Black Atlantic“. Ein Gespräch mit Hans-Georg Knopp über den Kurs des Hauses
INTERVIEW DANIEL BAX UND MIRKO HEINEMANN
taz: Herr Knopp, Ihr Haus ist in Kritik geraten. Sie verzichten auf eingeführte und populäre Musikreihen wie das Festival of Sacred Musik, Transonic und Popdeurope. Stattdessen setzen Sie nur noch auf große, einmalige Events wie jetzt „Black Atlantic“. Warum?
Hans-Georg Knopp: Alle Programme waren erfolgreich. Aber sie waren auch alle auf Kante genäht, wir waren offensichtlich zu optimistisch. In Zeiten, in denen es uns finanziell möglich war, wollten wir die Musikreihen haben – wir haben sie ja selbst ins Leben gerufen. Aber die interdisziplinären Programme sind attraktiver für uns, denn solche Programme, die Fragestellungen zwischen den Kulturen integriert verhandeln, macht nur das HKW in Berlin.
Nun haben Sie auch noch Ihr Programmheft eingestellt. Spielt Programmkontinuität denn gar keine Rolle für Sie?
Bis 1997 war in der Tat die bunte Vielfalt das Kennzeichen. Danach haben wir erst Kontinuität ins Programm gebracht. Aber unsere Projekte waren alle unterfinanziert. Und ob ich eine Gruppe nun zum Festival of Sacred Music einlade oder zu einem anderen Projekt, die Kosten bleiben dieselben. Im Gegenteil: Bei einem Verbundprogramm sparen wir Kosten für Infrastruktur, die wir sonst jedes Mal neu erbringen müssen.
Früher einmal war das Programm des HKW bunter und vielfältiger – auch, weil dort viele Gastveranstaltungen stattfanden. Heute dagegen scheint alles auf eine Linie getrimmt.
Auch wenn man so einzigartig ist in der Welt wie das HKW, muss man eine eigene Programmatik entwickeln, und das haben wir geschafft. Dabei ist natürlich einiges rausgefallen, anderes ist hinzugekommen. Natürlich könnten wir auch heute noch jede durchreisende Gruppe, die ohnehin in der Nähe gastiert, hier auftreten lassen. Aber wir wollen keinen Tourneezirkus, keinen Festivalzirkus. Das wäre auch keine Rechtfertigung für öffentliche Mittel. Das HKW darf nicht nur eine lokale Bedeutung haben: Es muss ein Leuchtturm, ein Beispiel sein.
Wenn Sie „Leuchtturm“ sagen: Woran bemessen Sie den Erfolg?
Wir machen das an zwei Faktoren fest. Einmal, wie wirkt es nach innen, nach Berlin? Wird es von den Kulturmachern anerkannt oder sogar als Vorbild gesehen? Da können wir beruhigt sagen, dass wir Dinge nach Berlin gebracht haben, die hier vorher noch nie gezeigt wurden und ohne uns nicht gezeigt würden. Nehmen Sie das Theaterstück „El Automovil gris“ des mexikanischen Regisseurs Claudio Valdés Kuri: von uns koproduziert, 2002 bei uns uraufgeführt – und vor wenigen Wochen in einer Berliner Zeitung als die große Entdeckung gefeiert.
Das zweite Kriterium ist: Wie wirken wir ins Ausland? Können sich Künstler aus Afrika, Lateinamerika und Asien mit unserer Programmatik identifizieren? Das wird uns immer wieder bestätigt, auch von anderen Kulturmachern aus dem Ausland. Zu „Intransit“ sind alle großen Festivalmacher aus Europa gekommen, um zu sehen, was wir hier machen, und zu „Disorientation“ waren allein aus den USA zehn Leiter von Kultureinrichtungen hier. Das Millenium Art Museum in Beijing hat mit uns gar einen Vertrag abgeschlossen. Da docken wir Berlin international an.
Spielt Publikumserfolg denn gar keine Rolle?
Wir sehen seit 2000 eine Steigerung der Besucherzahlen und eine Steigerung der Zustimmung zu der Programmatik unseres Hauses. Achtzig Prozent der Besucher sind mit unseren Programmen zufrieden und sehr zufrieden.
In solchen Statistiken sind ja noch Publikumsmagneten wie das Festival of Sacred Musik und Popdeurope enthalten. Wie wollen Sie diesen Verlust kompensieren?
Das ist ein Problem, auf das wir reagieren müssen. Zum Beispiel, indem das Performance-Festival „Intransit“, aber auch die anderen Projekte in Zukunft einen erheblich stärkeren Musikanteil haben werden.
Was ist mit den Besuchern, die jetzt nicht mehr kommen, weil ihnen das Programm zu akademisch geworden ist? Früher hat das Haus ja auch die türkischen Familien erreicht, die im Tiergarten picknicken.
Dazu kann ich nur sagen: Wenn ich zum Grillen gehe, gehe ich zum Grillen. Haben wir die früher wirklich erreicht? Ich glaube, das ist eine Fiktion.
Aber es ist sicher nicht so, dass unser Programm nur für eine bestimmte Elite gemacht wird. Unser Publikum besteht überwiegend aus jungen Leuten: 40 Prozent sind 19 bis 29 Jahre alt, 20 Prozent von 29 bis 39 – das geht aus unserer letzten Besucherumfrage hervor.
Wie sprechen Sie denn Nichtakademiker an?
Wir haben in unserer Besucherumfrage auch nach dem Bildungsgrad gefragt. Die meisten haben natürlich Abitur. Und ich denke, das ist bei allen Kulturinstitutionen so, die zeitgenössische Kunst, Performances und Tanztheater machen.
Der Eindruck des Abgehobenen, Abstrakten und Elitären, den das Haus oft macht – ist das nur ein Vermittlungsproblem?
Ja, wenn überhaupt. Wir suchen deswegen immer nach neuen Wegen, um die Besucher lebendig ansprechen zu können. Das haben wir früher überhaupt nicht gemacht. Darum haben wir jetzt zu „Black Atlantic“ im Foyer einen Ort gebaut, da können sich die Besucher bequem hinsetzen – da werden Filme gezeigt, da liegen Bücher, Zeitschriften und Kopfhörer aus, über die man sich Musik anhören kann.
Sie haben also schon erkannt, dass es Defizite im Bereich der Sinnlichkeit gab.
Ja, absolut, gar keine Frage. Das ist etwas, woran wir wesentlich stärker arbeiten müssen.
Das Haus der Kulturen liegt heute im Regierungsviertel und wird vom Bund finanziert. Gibt es da inhaltliche Vorgaben, etwa vom Auswärtigen Amt?
Keine. Es gibt nur den Wunsch, dass wir den „Dialog mit dem Islam“ führen. Ich benutze diesen Ausdruck nicht so gerne, weil ich Menschen nicht durch ihre Religion definieren möchte. Aber es ist klar, dass wir sehr viel mehr über manche Regionen und Religionen wissen müssen.
Uns scheint es, als würde das HKW politischen Kontroversen eher ausweichen – etwa bei der Iran-Ausstellung oder beim Nahost-Programm „Disorientation“. Dabei fiel dieses sogar zeitgleich mit dem Beginn des Irakkriegs zusammen!
Es hat im Vorfeld ernste Diskussionen darüber gegeben, wie wir mit dem Krieg umgehen. Die arabischen Künstler haben aber alle gesagt, dass sie nicht auf diese politische Thematik eingehen wollen. Was den Iran angeht: Da haben wir bewusst vermieden, dass politische Themen allzu deutlich angesprochen werden. Sie wissen vielleicht: Das Haus der Kulturen hat vor vier Jahren zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung eine Konferenz veranstaltet, die im Iran einen Skandal ausgelöst hat. Alle, die daran teilgenommen haben, sind danach im Gefängnis gelandet. Wir aber wollten ein Projekt mit iranischen Künstlern machen. Für das, was man hier macht, trägt man eben eine besondere Verantwortung.
Kann man denn eine Iran-Ausstellung ausrichten, ohne über Fundamentalismus und den politischen Islam zu reden?
Sehen Sie, wir hatten die Volksmudschaheddin hier: Die waren bei den Proben und haben die Künstler bedroht. Aber es gab zum Beispiel auch eine Installation, in der kleine Messer ein Ornament bildeten. So sahen die Messer aus, mit denen Intellektuelle im Iran brutal ermordet worden waren. So etwas kann auch eine politische Demonstration sein.
Auch andere Institutionen in der Stadt beschäftigen sich mit Themen wie Globalisierung und Migration, neuerdings etwa das HAU. Wie kann sich das HKW da noch hervorheben?
Sehen Sie unser derzeitiges Projekt „Black Atlantic“. Wer hat so ein enorm wichtiges Thema aufgenommen? Das HKW! Aber manchmal ist es sicher schwierig, das hinzukriegen. Ob uns das gelingt, muss man immer am ganz konkreten Projekt festmachen. Beispiele sind die lange Zusammenarbeit mit Ong Keng Sen aus Singapur oder die mit Koffi Koko und Ismael Ivo. Oder auch die Koproduktion des deutschen Tänzers Dieter Baumann mit der chinesischen Tänzerin Jin Ching aus Shanghai – ein ehemaliger Offizier der Volksbefreiungsarmee, der sich vom Mann zur Frau hat umwandeln lassen. Das ist für mich ein ganz typisches Beispiel, wo uns das gelungen ist. Es geht uns darum, zu reflektieren, wie unsere Gesellschaften heute sind, und die Künstler dazu nach ihren Stellungnahmen zu befragen. Aufgabe des Hauses kann es deshalb nicht sein, einfach nur Musik zu zeigen: Das könnte man überall machen. Aber über Musik darüber zu reflektieren, wie Europa aussieht – das ist etwas anderes. Unser Festival Popdeurope hat das gemacht.
Bewegen Sie sich eigentlich auch außerhalb Ihres Hauses an Orten, an denen Kulturen aufeinander treffen?
Ich bin eigentlich jeden Abend unterwegs (lacht). Wir Kulturmacher besuchen uns eigentlich ständig gegenseitig.
Waren Sie schon einmal bei der Russendisko oder im Yaam?
Nein, die kenne ich nicht. Aber ich glaube, es ist kein Fehler, wenn ich mich in der Diskothekenszene nicht so gut auskenne.