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Archiv-Artikel

Marathon in Schwarz und Weiß

„Internationale Standards“ sollen das Renommee des Bremer Klavierwettbewerbs sichern. Der Bulgare Julian Gorus hat sie glanzvoll erfüllt

„Einer der schwers-ten, anerkanntesten Klavier-Wettbewerbe in Europa“

Am Ende tobt der Saal. Julian Gorus hat kaum seine Hände von den Tasten und den Blick vom Dirigenten gelöst, da schallt schon das Hurra, bricht der Beifall los, trampeln betagte Damen mit ihren Absätzen, entringt sich den Kehlen von schwarzbefrackten Herren ein begeistertes Jauchzen. Dreimal muss Gorus zurück auf die Bühne im großen Saal der Glocke, beim letzten Abgang versperrt Dirigent Gabriel Feltz ihm den Weg. Verlegen auf den Fußballen wippend, die Hände auf dem Rücken, bleibt Gorus hinter dem Klavierstuhl stehen und wartet auf das Ende des Applauses.

31 Jung-PianistInnen aus 15 europäischen Ländern und Israel waren zum 9. Bremer Klavierwettbewerb angetreten, in drei Durchläufen qualifizierten sich vier davon für das Finale am Dienstagabend: Yulianna Avdeeva (20) und Julia Fedulajewa (28), beide aus Russland, Dorel Golan (22) aus Israel – sie hatte bereits vor zwei Jahren einen Förderpreis in Bremen erhalten – und Julian Gorus (25).

„Einen der schwersten, anerkanntesten und berühmtesten Wettbewerbe in Europa“ nennt Organisatorin Ingeborg Fischer-Thein das Klavier-Spektakel: „Da kommt nur die absolute Spitze durch.“ Neun Stücke von Barock bis zeitgenössisch müssen die PianistInnen allein in den Vorrunden vortragen – eine „Mammutleistung“, lobt Jury-Vorsitzender Peter Schilbach. Für das Finale mit Begleitung der Bremer Philharmoniker wählten Avdeeva und Golan das 2. Klavierkonzert von Sergei Rachmaninov in c-Moll, Fedulajewa und Gorus das populärere 1. von Peter Tschaikowski in b-Moll.

Vertreter von Agenturen und Labels säßen im Publikum, Intendanten, die junge Talente suchten, stellt Fischer-Thein heraus. „International anerkannt“ sei das zur Bewertung verwendete Punktesystem, betont sie. Zur Not scheucht die Organisatorin auch eigenhändig Zuschauer von den begehrten freien Plätzen vorne nach hinten in den Saal zurück: Die Reihe hinter den JurorInnen muss freibleiben – „das ist internationaler Standard“. Um das Renommee des Wettbewerbs nicht zu gefährden, vergab die Jury bisher vier von neunmal keinen ersten Preis.

Gorus dagegen war gut genug. Der Bulgare, der mit vier Jahren auf die Musikschule kam, mit elf die ersten Preise einheimste, Meisterklassen und Klavier-Studium in Köln, Kalifornien, Paris, Istanbul und Mainz absolvierte und im letzten Jahr beim Chopin Wettbewerb in Darmstadt den Publikumspreis gewann – er geht aus dem Bremer Klavierwettbewerb am Dienstag als unumstrittener Sieger hervor. Er reizt den Flügel bis an dessen akustische Grenzen aus, folgt mit der Stirn der Hand bis ganz nach außen in den Läufen, stürzt sich in die gewaltigen Akkorde, um dem Orchester auch in den lautesten Partien noch kraftvoll Paroli zu bieten. Neben dem ersten Platz sprach ihm die Jury Förderprämien für die jeweils beste Interpretation eines zeitgenössischen Werkes und der eigens für den Wettbewerb in Auftrag gegebenen Komposition Sonate für Klavier (mrt) von András Hamary zu.

Während die Jury tagt, gibt auch das Publikum per Stimmzettel sein Urteil ab. Gorus, das war nach dem Applaus schon klar, ist auch hier der Favorit – im Gegensatz zu vor zwei Jahren, als Publikum und Jury zwei verschiedene Sieger kürten. Auf Platz zwei rangiert im Foyer noch Dorel Golan – die Jury spricht der Israelin wie der Russin Julia Fedulajewa anschließend nur einen dritten Preis zu. In die Profi-Bewertung, erklärt Organisatorin Fischer-Thein, flössen neben dem Final-Auftritt auch die Ergebnisse der ersten drei Durchläufe ein: „Deswegen kann das Publikum das Jury-Urteil manchmal nicht verstehen.“

Yulianna Avdeeva etwa, die nachher mit Platz zwei bedacht wird, ist so ein Fall: Von allen vieren hatte sie die größten Schwierigkeiten im Zusammenspiel mit dem Orchester. „Sie hat für sich gespielt“, finden die einen. „Der Dirigent hat gebremst“, argumentieren die anderen. Oder: „Das Orchester hat nicht gut gespielt.“

Die ersten beiden Bremer Preisträger werden vor ihrem Rückflug noch in der Bremer Landesvertretung in Berlin auftreten. Gorus, ist Fischer-Thein sicher, „wird Weltkarriere machen.“ Armin Simon