: Eine andere Schattierung von Schwarz
Michael Manns Thriller „Collateral“ ist zu 80 Prozent mit digitalen Kameras gedreht. Dadurch gelingt ein vollkommen neuer Blick auf die Großstadtnacht. Jede Szene ist eine Liebeserklärung an das Handwerk des Filmemachens. Doch der Reichtum der Bilder zieht keinen Reichtum der Figuren nach sich
VON SVEN VON REDEN
Die Bilder von „Collateral“ haben mehr Schwarztöne als die Inuit Wörter für Schnee. Das dramatische Tiefschwarz, das der Film Noir vom europäischen Expressionismus geerbt hat, ist nicht dabei: Selbst wenn die Kamera in die dunkelsten Ecken des nächtlichen Los Angeles späht, schälen sich immer noch die Konturen von Gegenständen heraus. Reste von Tageslicht erhellen „Collateral“ nur in den ersten Szenen, in denen sich in den Wolken noch das Rot der untergehenden Sonne spiegelt. Dann übernimmt das Neon der Straßenlaternen und Werbetafeln die Lichtregie. Der Film wird vorbei sein, noch bevor die Sonne die ersten Strahlen aus der kalifornischen Wüste nach Westen schickt.
Michael Mann drehte ungefähr 80 Prozent von „Collateral“ mit verschiedenen Digitalkameras. Nicht aus Kostengründen, die so viele Filmemacher vom analogen Format wegzwingen, auch nicht um besondere Effektsequenzen zu ermöglichen, sondern weil er mit 35-mm-Filmmaterial einfach nicht genügend Abstufungen der Dunkelheit hätte darstellen können. Mann wollte neue Nachtbilder erschaffen, dafür arbeitete er selbst mit an der Modifikation einer digitalen High-Definition-Kamera, „um alles zu sehen, was das Auge sehen kann, und noch ein bisschen mehr“, wie er es im Presseheft beschreibt.
Stanley Kubrick ließ Mitte der 70er-Jahre für „Barry Lyndon“ extra lichtstarke Objektive entwickeln, um bei seinen nur mit Kerzenlicht erhellten Sets ohne Kunstlicht drehen zu können. So wie Kubrick ein einzigartiger Blick auf die Lichtverhältnisse des 18. Jahrhunderts gelingt – die Nächte getaucht in flackerndes gelbes Licht, das an den Rändern von Braun in tiefe Schwärze übergeht –, zeigt uns Mann eine Großstadtnacht im 21. Jahrhundert, wie man sie im Kino noch nicht gesehen hat. Das Gemisch aus Neonbeleuchtungen und dem Halogen der Autoscheinwerfer, reflektiert vom Beton der Straßen und den Glasfassaden der Hochhäuser, ergibt ein völlig anderes Nachtlicht als bei Kubrick: Die Konturen bleiben hart, die Farbpalette wird dominiert von Grau- und Blautönen. Diese Nacht vermittelt keine Geborgenheit. Die Lichtverschmutzung taucht die Isolation der schlaflosen Subjekte in ein unentrinnbar fahles Zwielicht.
Manns akribische Vorbereitung seiner Filme und deren formale Brillanz laden natürlich zum Vergleich mit Kubrick ein. In ähnlich luftigen Abständen wie Kubrick bringt Mann seine Werke ins Kino: Erst acht Kinofilme hat er seit 1981 gedreht – darunter „Ali“, „Der letzte Mohikaner“, aber vor allem Thriller wie „Heat“, „Thief“ und „Manhunter“. Das reichte, um ihn in die Top Ten der besten Regisseure der letzten 25 Jahre zu bringen, die die britische Filmzeitschrift Sight and Sound vor zwei Jahren anhand von Kritikervoten ermittelte (Martin Scorsese war der einzige US-Filmemacher, der sich vor Mann platzierte). Ein erstaunlicher cineastischer Ritterschlag für jemanden, der Mitte der Achtzigerjahre als Erfinder und Produzent der TV-Serie „Miami Vice“ bekannt wurde.
Was Mann auf diese Liste brachte, lässt sich auch an „Collateral“ bewundern: seine perfekte Ausnutzung des Cinemascope-Formats, seine markanten Musikeinsätze, seine komplexen Kamerafahrten durch Menschenmassen, seine schnellen Schnittfolgen, die nicht etwa eine planlose Kameraarbeit vertuschen sollen, sondern im Gegenteil von akribischer Kontrolle zeugen. Jede Szene ist eine Liebeserklärung an das Handwerk des Filmemachens.
Mann ist ein Profi, und alle seine Filme handeln von Profis. Das Werk keines anderen Regisseurs kreist derart besessen um das Thema Arbeit – um die Art, wie sich Menschen über ihre Arbeit definieren, um das Verhältnis von Arbeit und Moral und von Arbeit und Männlichkeit. Wie schon in „Manhunter“, „Heat“ und „The Insider“ treffen in „Collateral“ zwei „Professionals“ mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Moral aufeinander. Zum einen der Taxifahrer Max. Eigentlich fährt er nur Taxi, um irgendwann einen eigenen Limousinenservice aufzumachen. Dennoch nimmt er seinen Job ernst: Das Taxi ist immer sauber, er kann seinen Kunden minutengenau sagen, wann sie ankommen werden, und er fährt sie immer auf der billigsten Route. „Sie sind stolz darauf, in ihrem Job gut zu sein“, stellt eine Staatsanwältin fest, die er zu Beginn des Filmes an Staus vorbei schnell zu ihrem Büro bringt. Doch trotz dieser Qualitäten sitzt Max seit zwölf Jahren im Taxi und ist seinem Traum von Selbstständigkeit immer noch nicht näher gekommen. Stattdessen blättert er in Mercedes-Prospekten und schaut in jeder freien Sekunde sehnsüchtig die Postkarte einer Südseeinsel an. Max ist das perfekte Objekt für eine „erzwungene Befreiung“ (Georg Seeßlen), die im Zentrum jedes prototypischen Thrillers steht. Gewissermaßen unbewusst wartet er nur darauf, dass seine Welt in Unordnung gebracht wird.
Das erledigt der zweite Fahrgast des Abends. Er heißt Vincent und ist Profikiller. Fünf Menschen hat er in dieser Nacht auf seiner Abschussliste. Was ihm fehlt, ist ein Fahrer. „Sie sind so jemand, der nicht viel redet. Das gefällt mir“, schmeichelt Vincent Max. Wer nicht redet, handelt, meint er damit. Doch darin liegt der Unterschied der beiden: Sie definieren sich zwar über ihre Arbeit, aber Vincent weiß im Gegensatz zu Max, sich durchzusetzen. Max ist schüchtern und zurückhaltend, Vincent smart, skrupellos und selbstbewusst.
Für die Rolle des Vincent hätte Mann keinen geeigneteren Schauspieler als Tom Cruise finden können: Er bringt eine Aura von Professionalität, Selbstbewusstsein und Erfolg in den Film ein, die sich wunderbar an der Amoralität seiner Rolle bricht. „Collateral“ wird als Film beworben, in dem Cruise erstmals den Bösen spielt. Das hat er jedoch schon in „Interview mit einem Vampir“ getan. Aber nach „Eyes Wide Shut“ und „Magnolia“ verkörpert er erneut eine Rolle, die sein Image mit einbezieht und wortwörtlich in ein neues Licht rückt. Der neue Kontext macht ihn angreifbar, legt neue Fragen nahe: Was verdeckt er mit seinem Alphamännchen-Gehabe? Was können männliche Tugenden anrichten, wenn sie von jeglicher Moral entkoppelt werden?
Auch äußerlich hat sich Cruise verändert: Das Haifischgrinsen und der stechende Blick, die effizienten Bewegungen und sicheren Gesten bleiben seine Merkmale, aber Haare und Dreitagebart sind vorzeitig ergraut. Als wollte zumindest sein Körper ein Zeichen geben, dass er geschockt ist von den Dingen, die dieser Mann getan hat.
Jenseits davon zeigt Vincent keine Zweifel und kein Mitleid. Im Taxi hält er lange Monologe, in denen er sein Handeln aus seiner Weltsicht ableitet. Im globalen Maßstab – aus der Perspektive Gottes gewissermaßen – sieht er seine Verfehlungen nur als Petitessen. Es werden anonyme Menschen getötet, die selbst Dreck am Stecken haben. Und was betrifft es Max überhaupt, wen Vincent umbringt? Und so weiter. Vincents Rationalisierungsversuche erinnern an Harry Lime, der im „Dritten Mann“ vom Riesenrad herabschauend fragt, was es ausmachen würde, wenn einer dieser ameisengroßen Punkte unten auf der Erde plötzlich verschwinden würde.
Doch Vincents Erklärungen wirken nur vorgeschoben. Schon als Max, nachdem der erste Tote auf seinem Taxidach gelandet ist, nach dem „Warum“ fragt, bekommt er vom eiligen Vincent eine ehrlichere Antwort: „Darwin, Shit Happens, I-Ging – nenn es, wie du willst. Wir müssen die Situation in den Griff kriegen.“ Der Job muss gemacht werden: „A man's gotta do, what a man's gotta do“. Darauf läuft es bei Mann letztlich immer hinaus (hatten Frauen in seinen frühen Filmen nur die Aufgabe, loyal ihrem Partner beizustehen, dürfen sie mittlerweile auch „Professionals“ sein und zumindest in Nebenrollen selbst ihren Mann stehen). Er ist ein brillanter Thriller-Regisseur, aber seine Versuche, mit Hilfe des Genrekinos zu existenziellen Themen vorzustoßen, treten auf der Stelle.
Tragik generiert er nur aus einer prototypischen Geschichte: Jemand verrennt sich so in seiner Arbeit, dass er soziale und moralische Verbindlichkeiten vergisst. Kriegt er am Ende nicht die Kurve, wird er einsam und unglücklich enden. Manns Darstellung von Arbeit bleibt dabei begrenzt. Sie hat wenig mit dem zu tun, was die Mehrheit der Bevölkerung tagtäglich macht. Arbeit ist bei Mann keine Sache der Routine, der Langeweile, der Kompromisse, sondern immer ein Kampf um Leben und Tod. Kein Wunder, dass seine Filme weitgehend humorlos sind.
So exquisit seine Bilder komponiert und arrangiert sind, die emotionale Palette Manns kennt nur wenige Farbtöne.